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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0087
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von des hoesten geistes zunder
din lip gar geviurct stak.

Den Mi, maget, doch gebaere,
ane schäm und ane swaerc,
da bi alles fcres laere,
s a m diu f itn tt c b u f d a z glas,
kl; und in kam er gegangen
fenftcelicheu, ane drangen,
bi dir minneclich gevangen,
des kraft ungcmezzen was 71).

Schon ein Jahrhundert früher ist Maria von Wernher von Tegernsee gegrüßt worden:
„Sic ist ein ch r i st a l l c
über die cngel alle
ein liechtvaz in der finster" '■).

Heinrich von Laufenberg erklärt:

„Wie schint der snnne durch d a ö g l a ß
mit sincm clorcn strimen?
also gebar die maget, das
doch küfch sie ums"73).

In einer Mariensequenz aus einer Handschrift des Klosters Muri heißt es:
„Frowe dich, gotis cellc
bislozinu capelle.
do du de» gibare
der dich und al die weit giscuof,
nu sich, wie reine ein v a z d» magit do wäre" 74).

Fügen wir noch hinzu die Anrufungen der rasch verbreiteten Lauretanischen Litanei:
„Maria, du geistliches Gefäß, ehrwürdiges Gefäß, vortreffliches Gefäß der Andacht,"
so gewinnen wir die Ueberleitung des Bildes in das sog. „Goldene Ave Maria" in den
mittelalterlichen Gebetbüchern73), wo cs heißt: „G n a d c n v o l l c, dich hat vollendet
der Heilige Geist, der dich schuf zum Gefäß der göttlichen Giite und der Fülle seiner
Liebe. Der Herr ist mit di r, in wunderbarem Ratschluß ist das Wort in dir
Fleisch geworden durch dcS dreieinigen Schöpfers Werk, o wie süß ist dies G c f ä ß der
Liebe". Hören wir noch, wie im Bcncdiktbeurener Weihnachtsspiel St. Augustinus in der
Widerrede mit dem Archifynagoguö, dem Vertreter der Ungläubigen, das Mcnfchwcrdungs-
geheimnis erklärt: „Wie der Sonnenstrahl durch das feste Glas dringt, ohne es zu
verletzen, so läßt sich der Sohn des ewigen Vaters in den Schoß der Jungfrau nieder" 7,:).
Alle diese Stellen aus der poetischen und Gebetslitcratur des Mittelalters schließen sich
zusammen zum Beweis der Verbindung des Glasgefäßes, das von der Sonne durch-
leuchtet ist, mit dem Geheimnis der Erlösung, bei deren Auswirkung die Unverletztheil
der Jungfräulichkeit selbstverständliche Voraussetzung ist.

d) Von dem Kristallgcfäß läuft eine innere verbindende Linie zu der Lilien-
blätterkrone der Jungfranengestalt. Die Lilienkrone kündet nichts anderes als das
fonnendnrchlcuchtete Glasgefäß, nämlich die immerwährende Jungfräulichkeit. Deswegen

71) Kurz, Gesch. d. deutschen Literatur, I, S. 124/125.

7#) Kurz, S. 244.

73) Wackernagel, Lesebuch, Sp. 1366.

74) Wackernagel, Sp. 438. Die Bilder vom „gläsernen Gefäß" wechseln dann mit dem Bild vom
„gläsernen Fenster", z. V. Weihnachtspredigt bei Wackernagel, Sp. 373.

75J Hortulus animae 1516 fol. 39 b

Gratia plena te perfecit
Spiritus sanctus, dum te fecit
vas divinae bonitatis
et totius pietatis.

Dominus tecum, miro pacto
verbo carne in te facto
opere trini conditoris,
o quam dulce vas amoris.

7G) Michael, Gesch. d. deutschen Volkes, IV, S. 420.
 
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