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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Breucha, Hermann: Tintoretto
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0094
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klang wohl immer so geheimnisvoll und überzeugend. Man konnte Tintoretto in Venedig
nicht vergessen. Er gehört zu ihm so gut wie Veronese und Tizian. Vielleicht noch mehr
als sie. Tizian können wir auch anderswo kennenlernen. Aber wer Tintoretto studieren will,
der muß nach Venedig kommen. Hier ist er zu finden in den vielen Kirchen und insbesondere
in der Scuola San Rocco, die Tintoretto mit 50 Riesengemälden geschmückt hat.

Die Kunstgeschichte hat ihm bisher nicht viele Zeilen in ihren Büchern gewidmet).
Er wollte sich nicht einstigen lassen in das Schema klassischer Kunst, das man sich zurecht-
gelegt hatte und mit dem man jedem seinen verdienten Platz zuweisen konnte. Tintoretto
aber war zu absonderlich und eigensinnig, er paßte nicht in die Formel „edle Einfalt und
stille Größe". Das gerade Gegenteil schien sein Ideal zu sein. Er gebärdet sich wie ein
Revolutionär, der alle erprobte Theorie des Schönen tiber den Haufen wirft, der niedcr-
reißt, was man vorher angcbetet hatte. Aber es war kein absichtliches Revolutionieren, kein
verbittertes Ressentiment, das immer das Gegenteil des Bestehenden will. Er malte einfach
drauflos, so wie eS ihn innerlich drängte. Er hatte nun einmal keine so ausbalancierte
Seele wie die großen Renaiffancekünstler und wie fein Zeitgenosse und Meister, der vcne-
tianische Malerfürst Tizian. Er hatte ein wildes, ungestümes Temperament. In feinem
Kopf muß es gekocht und gewirbelt haben wie in einem Vesuv. Mit einer elementaren
Wucht und einer bisher unerhörten Schnelligkeit schleuderte er seine Bilder heraus. Wo
Tizian Wochen und Monate brauchte, war Tintoretto in einigen Tagen fertig. Er fürchtet
die Größe dcö Formates nicht. Je größer, desto lieber. Ihm ist nicht bange, wie er eine
riesige Wandfläche füllen soll, ohne daß die Komposition darunter leidet. Als 72jährigcr
malte er für den großen Ratsaal im Dogenpalast sein „Paradies", das größte Oclgemäldc,
das die Welt kennt. Dabei ist cs kein mühsames Zusammenfügen einzelner Teile. Er scheint
mit seinen Figuren zu spiele» wie ein Kind mit seinem Ball. Er wirft sie hin, kreuz und
quer, aber sie sitzen am rechten Platz. Seine Bilder sind Visionen des Augenblicks. In
einem Moment der Ekstase hat er sie geschaut, und er kommt mit dem Pinsel kaum nach,
um das Geschaute fcstzuhaltcn. Man fühlt sozusagen, wie er den Atem anhält, um fertig zu
werden, ehe das Feuer erlöscht und das Leuchten der Vision verblaßt. Es gelang ihm nicht
immer, das Feuer des ersten Erlebnisses warm zu halten bis zum letzten Pinselstrich. Man
bat nicht mit Unrecht gesagt, Tintoretto habe manchmal besser als Tizian und manchmal
schlechter als Tintoretto gemalt. Aber wo die Begeisterung anhält, geht cs wie ein ekstati-
sches Feuer durch das ganze Bild bis in das letzte Fleckchen Leinwand. Da ist keine Person,
kein Baum, kurz nichts, was nicht hincingcriffcn wäre in den Strom des großen Erlebens,
was nicht von ihm Gestalt und Form bekommen hätte. Man kann seine Bilder nicht in
schöne Farbstücke zerschneiden wie diejenigen mancher anderer Künstler der Renaissance, in
Teile, die dann noch in Schönheit leben. Bei Tintoretto sind sie dann tot. Sie haben nur
Sinn und Leben im Zusammenhang, wenn sie das Blut heißen Erlebens durchrieselt. Das
macht ihn zu einem Meister der Komposition. Freilich ist er anders als seine Zeitgenossen.
Für ihn bedeutet Komposition nicht Symmetrie, nicht Einspanncn in geometrische Formen,
er braucht die Mitte nicht erst auszurechnen, um den Platz für die Hauptfigur zu finden.
Im Gegenteil! Er sucht dies mit Absicht zu vermeiden. In seiner „Taufe Christi" stellt er
die Person Christi auf die Seite. Aber diese gebückte Haltung Christi gibt das Motiv für
das ganze Bild: Johannes, die Volksmenge am Ufer, selbst die Natur, die Bäume und der
Himmel schwingen in dieser Bewegung des gebückten Christus mit. Die „Hochzeit zu Kana"
machte er nicht wie Veronese zu einem breit angelegten Gastmahl auf der Terrasse eines
venezianischen Palastes. Er schiebt die Festtafel eigentlich recht unsymmetrisch an die linke
Seite eines einfachen Saales, und doch findet der Blick des Beschauers, mag das Auge
ansetzen, wo eö will, ein Paar, das still ganz unten an der Tafel sitzt, Christus und Maria.
Das ist wahrlich eine große Komposition, keine errechnete, sondern eine erlebte. Darum ist
er im Grunde Expressionist. Auch die Farbe zeigt ihn als solchen. Seine Bilder haben ein
mystisches Leuchten. Er liebt das Dunkel mit den aufblitzenden Lichtern. Das prachtvolle
Kolorit ist ein Erbstück der venezianischen Schule, und Tintoretto hat wahrlich ein gutes

Vergl. übrigens: Stearns, Life and Genius of Tintoretto, London 1894. — H. Tliode, Tintoretto

Leipzig 1901. — Tintoretto, Newnes Art Library,'London, v. I. mit 65 ganzseitigen Abb. (D. R.)

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