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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 10-12
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0106
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He»och oder Eliaö"'H ^der der Prophet Daniel^""). Günther kennt sogar zwei bärtige
Engel, wenn er sagt: „Es ist anzunehmen, daß die bärtigen Engel zur Seite der Hirten als
Hcnoch oder Elias gemeint sind"")". Das muß doch auffallen! Jedenfalls hat Günther
zuviel gesehen. Aber auch der Bart des einen Engels scheint gar nichts anderes zn fein als
ein Reflex der Lichtspielung auf das Gewandstück über den Armen des Engels. Vielleicht
hat die Photographie hier die Täuschung verschuldet. Die große Photographie in dem Haupt-
werke von H. A. Schmid zeigt diese Lichtspielung auf die Aermel ganz evident. Hier dürfte
übrigens die eingehende Untersuchung des Originals allein den Ausschlag geben.

n) Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Interpreten der Bildreihe haben wir das
Werk Grünewalds nicht mariologif ch aufgefaßt, sondern chriftologisch und
immer den Gedanken der Erlösung durch Christus ausgedrückt gefunden. Auch dieses „Weih-
nachtsbild" ist ganz und gar chriftozentrif ch zu erklären. Trotzdem daß oder gerade
deswegen, weil das Bild der Mutter mit dein Kinde zum beherrschenden Mittelpunkt des
Ganzen gemacht ist, ist an dieser Auffassung festzuhalten. Es ist ja auch das Kind, in dessen
Betrachtung Maria ganz versunken ist. Ihr Antlitz, ihr Auge, ihre Seele ist ganz getaucht
in das wunderbare Geheimnis, das sic in i h r e m K i n d e schaut. Wenn daS Erwartungs-
bild uns das Wort des IohanneSevangeliums: et verbum caro factum est geschildert
hat, so ist dieses Bild zn überschreiben: et habitavit in nobis - „er hat unter uns ge-
wohnt", dort das Wunder des Hl. Geistes in Maria, hier das Wunder des Lebens des
Menfchgewordcnen bei und vor Maria, dort die demütige Gottesmagd, welche sich dem
Wille» Gottes eint, hier die glückselige Mutter, welche die demütige Erniedrigung, die
exinanitio des Gottessohnes in der Menschwerdung bestaunt. Die Kindesgeftalt, die Men-
schengestalt des Gottessohnes, Gott in der Erniedrigung zum Menschen, das jesajanischc
Wort: „ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt"*"), das ist der nächste Haupt-
gedanke des Bildes. Der Mensch war lüstern nach der Gottgleichheit („ihr werdet Gott
gleich sein") und fiel in Sünde und Elend. Gott, den Gottessohn drängt es, einem Men-
schen gleich zu werden, um die Menschheit zu erlösen, mit Gott zu versöhnen. Deus factus
est homo, ut homo fieret Deus, sagt AnselmuS*").

b) Und nun die Z e i ch e n d i e s e r E r n i e d r i g u n g ! Im schneidenden Gegensatz,
fast könnte man sagen in brutalem Widcrspicl gegen die Herrlichkeiten des Erwartungs-
bildes inalt der Künstler unmittelbar daneben in gesuchter Einfachheit und gewollter Breite
den B a d e z u b e r, die W i e g e, das T L p f ch e n, um alle menschliche Unbchilflichkeit
und Armseligkeit zu bezeichne», der sich das Gotteskind und Menschenkind unterwerfen will.
Dazu kommt noch die z e r r i s s e n e W i n d e l, in der Maria das Kind hält, das Kindes-
lächeln und das Kinderspiel mit der Perlenschnur. Sicher schwebt dem Künstler das Wort
des Philipperbriefs (2, 7) vor: „Er entäußerte sich selbst, indem er KnechtSgeftalt annahm,
den Menschen gleich geworden und im Aeußern als ein Mensch erfunden ward".

c) DaS ist aber nur der Anfang der Erniedrigung, die ihre Vollendung findet im
Kreuzeöleiden, wie derselbe Philipperbrief kündet: „Er erniedrigte sich selbst und ward
gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze". Auch diese vollendete Erniedrigung
ist auf unserem Bilde angedeutet durch den Feigenbaum. Zwar haben die bisherige»
Erklärer diese» meist als Zeichen des friedlichen und gesegneten Gottesreichcs aufgefaßt.
Sie haben sich an die zahlreichen Stellen der Hl. Schrift gehalten, wo von dem Wohnen
unter dem Feigenbaum imb Weinstock als Zeichen eines glücklichen Zustandes geredet

’?8) Bernhart S. 9 ». 10.

10°) Beitz S. ??.

. lt0) Günther S. 73, Aua,. 181.

"*) Jssaias 9, ö zugleich Introitus der dritten Weihnachtsmesse.

m) Cornelius a Lapide, Comment. in Lucam 2,7. Dasselbe Wort bei Augustinus, sernio 9 de nativ.
(Brevier 5. Jan. in Vig. Epiph.) Dasselbe drückt der Hymnus an Weihnachten aus mit der Strophe:
Beatus anctor saeculi — servile corpns induit,

nt carne carnem liberans, — ne perderet quod condidit. (Sednlins hymn. 2.)

Vergleiche dazu die Stelle aus dem Sermo S. Leonis an Weihnachten: divini consilii inscrutabilis al-
litudo disposuit, reconciliandam anctori suo natnrnm gencris assnmpsit humani, nt invenlor mortis diabo-
lus per ipsam, quam vice rat, vinceretur.

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