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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 10-12
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0113
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schallt laut die Posaune des Heils! Es freue sich die Erde, bestrahlt (irradiuta — siehe
den dreifachen Lichtkreis) von solch himmlischem Schimmer!" In der folgenden Präfariou
heißt es: „Jesus hat Adams Schuld dem ewigen Vater für uns bezahlt und den Schuld-
brief der alten Sünde mit seinem liebreichen Blut ausgelöscht. . . . DaS ist die N a ch t
(siehe den nächtlichen Sternenhimmel!), in der Christus die Bande des Todes zersprengte
(geöffnetes Grab) und aus der Vorhölle als Sieger emporstieg. Denn nichts, fürwahr,
nützte uns die Geburt, wäre uns nicht die Erlösung zugute gekommen. 9 wunderbare
Herablassung deiner Güte um unsertwillen! . . . Um den Knecht zu erlösen, hast du den
Sohn hingegeben! -9 wahrlich liebenswürdige Sünde Adams, die durch Christi Tod
getilgt ist! 9 glückliche Schuld, die einen so wunderbaren und wundermächtigen Erlöser
fand. 9 wahrhaft selige Nacht, die allein gewürdigt wurde, Zeit und Stunde zu erfahren,
da Christ vom Totenreich erstand! . - . Diese geheiligte Nacht treibt die Laster in die
Flucht, wäscht ab die Sünden, gibt Unschuld wieder den Gefallenen und den Trauernden
Herzensfreude. Sie verscheucht de» Haß, bereitet Eintracht und beugt der Gewaltigen
Trotz". Aus der Stimmung dieses herrlichen Hymnus heraus muß Grüncwald seine einzig-
artige Auferstebung empfunden und gemalt haben.

V. D i e Erlös» ngStat.

Wir schließen die Flügel des lichtfreudigen Bilderzyklus der ersten Wandlung des
Altars, und vor uns steht, aus dem Dunkel einer schwarzen Nacht sich abbcbcnd, eine
K r e u z i g u n g s s z e n e: der Erlöser, getaucht in das Blut des bittersten Leidens,
getaucht in die wunderbare, zur Tageszeit hcreingebrochene Nacht des Kalvarienberges, und
in die schreckliche Nacht des Todes hängt er am Kreuzesholz. Sein Haupt ist auf die rechte
Seite herabgcsunken, die Augen sind geschlossen, die Lippen verschwollen. Die Finger der
augenagelte» Hände sind krampfhaft auseinandergezerrt und -gespreizt. Schon beginnt die
Todesstarre in die Glieder sich zu legen und den von tausend Wunden zerrissenen Leib zu
strecken. Das 9pfer des kostbarsten Lebens ist gebracht von dem,

„der an dem Kreuze für uns starb
und Leben uns im Tod erwarb"

„pua (cruce) vita mortem periulit
et liiorte vitam protulit“347).

Das Bild feiert die Tat des Erlösers, das opus redemptionis, den Gehorsam des
menschgewordenen Gottessohnes bis zum Tode, ja bis zum Tode des Kreuzes, die Voll-
bringung der Kreuzeslegation des Sohnes der ewigen Liebe.

Schon ist auch der Beweis seines Todes geliefert, die heilige Seite.ist geöffnet und
die Schar seiner Feinde, der Handlanger der Freveltat, der Soldaten, bat sich verlaufen.
Auch der Hauptmann hat sich weggewendet. Die Nacht ist stille. So ist es atich stille ge-
worden beim Kreuze. Nur die Mutter i» ihrem abgrundtiefen Schmerze, der Lieblings-
jünger Johannes in seiner Sorge für die ihm anvertraute Gottesmutter, und Magdalena,
zu de» Füßen des Kreuzes niedergekniet, sind »och da, alle auf der rechten Seite des Ge
kreuzigten. Zu seiner Linken steht nur eine Person, Johannes der Täufer, breit, fest, ent-
schlossen hingepflanzt neben das Kreuz, mit energischer, ausdrucksvoller Geste hinwiesend
auf den großen Toten. Zu seinen Füßen das Lamm Gottes mit dem Kelche, in den sein
Herzblut rinnt. Diese Figuren sind alle von einem Licht getroffen, das von vorn ber-
kommt, aus einer nicht ersichtlichen Suelle, und das nur schwach den untersten Hintergrund
aufznhellen imstande ist.

Man sieht, es ist kein rechtes Historienbild, was der Künstler uns gibt. Es liegt viel
und tiefe Mustik über das Gemälde ausgebreitet. Mit Historie und Mystik eint sich die
Liturgik, die auch ihren Teil daran haben will.

a) Gewöhnlich haben die Erklärer das Kreuzesholz näher zu betrachten ver-
gessen. Es ist nicht zu verkennen, daß es nicht aus einer einzigen Holzart besteht. Im
Mittelalter lebte die Kenntnis der Legende von den vier verschiedenen Hölzern, aus denen
das Kreuz bestand. So predigt z. B. Geiler von KaiscrSberg in seinem Schiff der Buße4433):

u‘) Hymnus „Vexilla regis prodeunt“. Karfreitagsliturgie der Kirche und au de» Feste» des hl. Kreuzes.

Uä) Navicula poenitenliae fol. 15c.

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