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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 10-12
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0114
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„Unser Kreuz war aus dem Holz der Zeder, der Zypresse, der Palme und des OelbaumS,
ganz paffend gemäß den vier Eigenschaften des Kreuzes Christi: die Zeder schlägt die
Schlangen in die Flucht und das Kreuz die bösen Gedanken; die Zypresse verliert durch
keinen Wind und Sturm ihr Haar („den tolden") und das Kreuz gibt Standhaftigkeit;
die Palme grünet immer und wird als Zeichen des Sieges verliehen, weshalb sie auch den
Bildern der Märtyrer beigemalt ist, und das Kreuz Christi triumphiert über die Feinde.
Der Oclbaum hat eine Linderung bietende Frucht, und das Kreuz Christi versüßt die Bitter-
keit der Buße". Schon ein GlaSgemälde des 13. Jahrhunderts in der Kathedrale von
BourgeS zeigt, wie der Künstler den Holzteilen des Kreuzes vier verschiedene Farben ge-
geben hat""). Dieser Tradition folgt Grünewald. Der Längsstamm des Kreuzes zeigt eine
andere Holzart als der Querstamm, der auch viel dünner ist; das Holz der Inschrifttafel
und das Holz des suppedaueum ist wieder verschiedener Art. Die Absichtlichkeit und
der Hinweis auf die mystische Bedeutung ist nicht zu leugnen.

b) Der Leib des Gekreuzigten ist ganz mit Wunden bedeckt. Das Blut rinnt noch
aus der Seitenwunde und aus den Wunden der Hände. Die Füße sind mit einem einzigen
großen Nagel durchbohrt und ruhen nicht auf dein Holzstück, in dem der Nagel steckt.
Das zerfetzte Linnentuch ruft die Erinnerung wach an die Windel, in der Maria das
Kind hält auf dem sogen. Weihnachtsbild unseres Altars. Die Legende erklärt, Maria
habe von einem ihrer Gewänder einen Teil abgerissen, um die Blöße ihres Sohnes zu
decken.

Die ganze Darstellung zeugt von einem derben Realismus; allein jene Zeit war ganz
vertieft in die mystische Betrachtung des Leidens Christi und suchte sich jede Einzelheit
ins Gedächtnis zu rufen. Die Schriften der Mvstiker und Myftikerinnen sind voll von
diesem BetrachtungSstosf. Die hl. Mechthild von Helfta sieht den Heiland in einem blut-
besprengten Kleide und hört ihn sprechen: „Wie meine Menschheit ganz mit Blut be-
gossen in unaussprechlicher Liebe sich Gott dem Vater als ein Opfer an dem Altäre des
Kreuzes aufgeopfert hat, in derselben Innigkeit der Liebe stehe ich vor dem himmlischen
Vater immerdar und opfere für die Sünder alle Art meines Leidens auf, und es ist mein
größtes Sehnen, daß der Sünder durch wahre Reue zu mir sich bekehre und lebe". Die-
selbe Heilige spricht von 5460 Vaterunsern, die von der ganzen Klostergemcinde zu Ehren
der Wunden Jesu gebetet worden waren, und der ihr erschienene Heiland drückt ihr seine
Freude aus über dieses Gebet'""). Das Scelengärtlein 1516 enthält ein Gebet, in dem
es heißt: „Verleihe, wir bitten dich, daß wir durch deines Sohnes geheiligte 5465 Wun-
de», die er für uns ertragen hat, und durch sein kostbares Blut von unseren Sünden, Irr-
tümern und Nachlässigkeiten gereinigt werden"'"').

Der Realismus dieser Wundendarstellungen am Leibe des Herrn dauert übrigens fort
bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wo uns noch die Kupferstiche des Augsburgers Will
und manche Bilder des Kerkerchristus oder des WiesenherrgottS ähnliches erkennen lasse».

c) Die d r e i b e i n> K r c u z e a u S h a r r e n d c n P e r s o n c n: die Mutter Jesu,
Johannes Ev. und Magdalena, hat der Künstler auf die eine, rechte Seite des Gekreuzig-
ten geschoben. Magdalena hat vor sich die Salbcnbüchse stehen in Erinnerung an ihre!
Bußtat im Hause Simonö. Die Silhouette ihres Leibes bildet eine Kurvenlinie, die sich
in der Gestalt der ganz in« weißen Mantel dastehenden und etwas zurücksinkende» Gottes-
mutter kräftiger und schärfer wiederholt und in deren Bewegung auch der Maria stützende
Johannes Ev. hineingezogen wird. Bemerkenswert ist das Fingerspiel der Magdalena
>uit einer ähnlichen Spreizung der Finger wie an den angenagelten Händen Jesu, im
Gegensatz zu den ruhiger, aber auch fester zusammengelegten Händen Mariens.

d) Der große weiße Farbfleck des Gewandes Mariens enthält ein Widerspiel in den
drei weißen Gegenständen: der Jnschrifttafel, des LammcS und des Buches, das Jo-
st a n n e S der T ä u f c r hält, ebenso wie sich das Rot im Gewand des Johannes Ev.

1,!l) Müle, l’art rel. du XIII sidcle en France, p. 224.

Ir'°) Müller I S. 505.

151) Hortulus animae 1516 fol.23b. Vergleiche auch das Reimgcbet: ave manus dextra Christi zu de»
bl. fünf Wunde», das dem Papst Gregor zngefchrieben wird. Iol.20b.

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