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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 10-12
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0118
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Regel des AntoniterordenS, mit einem knienden Stifter und seinem Wappen, links St.
Hieronymus, einen der Patriarchen des Mönchtums, mit dem Löwen, beide als Vertreter
der heiligen Lehre, der Kirchenlehre.

c) Das reiche Bespreng über dem thronenden St. Antonius stellt ein viel-
verästelteö Baumgezweig dar, in dem die Vögel des Himmels sich ergötzen, Sinnbilder
der gläubigen Seelen, die in dem wunderbar herangewachsenen Baum der Kirche wohne».
Weiter nach oben sind in dieses Acstewerk die Symbole der vier Evangelisten ein-
komponiert.

<I) In dem baldachinartigen Aufsatz ist in die maßwcrkartige Schnitzerei eine Rose
eingeschlossen, daö Sinnbild der Liebe zu Christus und seinem Reich, die in den Heiligen
und Erlösten sich entwickelt, duftet und glüht.

o) Der Flügel der Evangelienseite stellt den Besuch des hl. A n t o n i u s bei
S t. P a u l u s in der Wüste dar, wie die zwei heiligen Einsiedler wunderbar mit dem
vom Raben gebrachten Brot genährt und gesättigt werden. Die wundervolle Landschaft,
in der sich die beiden Heiligen niedergelassen haben, wird linke gegen oben hin wieder
durch einen der bei Grünewald so beliebten Lichtkreise erleuchtet. Aus dem Bilde spricht
die Fürsorge Gottes flir seine Diener inleiblichenAnliegenundNöten.

f) Der andere Flügel gibt eine Versuch u n g de S h l. A n t o n i u S , ein Bild,
in dem die lebhafte Phantasie des Künstlers in sachlicher wie in koloristischer Hinsicht wahre
Triumphe feiert. Von allen Seiten dringen die phantastischen Spukgestalten auf den am
Boden liegenden Heilige» ei», ohne ihm mit all ihren Schreck- und Zerrversuchen die
innere Seelenruhe rauben zu können. Man hat sich bemüht, die einzelnen dieser Aus-
geburten einer fast exzessiven Phantasie zu erklären, mit mehr oder weniger glücklichen,
Erfolg. Selbst von medizinischer Seite ist das Bild gründlich seziert worden. So wird
z. B. die links in der Ecke halb sitzende, halb liegende Figur mit den vielen Beulen auf
dem meist nackten Körper als „Pesttcusel" bezeichnet usw. Für unsere Zwecke genüge der
Hinweis auf die diesbezügliche Literatur''").

Ueber der ganzen Szene dieses raffiniert gemalten Teufelsspuks erscheint am Himmel
wieder eine sonnige Gloriole mit dem auf lichter Wolke thronenden Heiland, der hoch ein
Kreuz emporhält, das Siegeszeichen über alle Höllenmacht, in dem die Versicherung ge-
geben ist, daß auch für die inneren bittersten Nöte die Erlösermacht den Be-
drängten hilfreich und sieggebend zur Seite steht. Aus dem Leben der hl. Katharina von
Siena wird erzählt, wie sic aus großen Versuchungen durch eine Erscheinung des Heilands
befreit wurde und zu ihm sagte: „Wo warst du denn, mein Gebieter, als mein Herz voll
Unruhe und Versuchung war?" „Ich war in deinem Herzen, meine Tochter", sprach der
Heiland. Die Heilige erwiderte: „Wie konntest du in einem Herzen wohnen, worin so großer
Greuel war?" llnd der Herr antwortete: „Erregten die Versuchungen in dir Freude oder
Traurigkeit, Lust oder Bitterkeit?" „Ach, die äußerste Traurigkeit und Bitterkeit." „Und
wer verbreitete diese Bitterkeit in deiner Seele? War nicht ich es, der dieses Mißfallen
und diesen Widerstand in deinem Innern erweckte. Deshalb gereichten dir diese Ver-
suchungen zu großem Verdienste, zu reichem Gnadengewinn und zum Wachstum au Tugeno
und Kraft." Es ist gerade diese Gedankenfolge, die Grünewald auf seinem Bilde dar-
stellte. Das Kreuz des Erlösers, das Zeichen der Erlösung der Menschen, ist auch die
Erlösung für alle inneren Kämpfe und die Bürgschaft des Sieges. So ist auch dieses letzte
Bild Grünewalds auf diesem Altarwerk mit dem Siegel der Erlösung bezeichnet, wie eS
auch rechts unten in der Ecke mit der Unterschrift des Künstlers signiert ist.

Mit diesen Darlegungen ist nzm der Gesamtinhalt der Bilder des Isenheimer Altars
nach den, einheitlichen Gedanken der Erlösung zu erklären versucht
worden, und eine Erklärung gefunden, welche sicher der Genialität des Meisters keinen
Abtrag tut, sondern in, Gegenteil dieselbe in klarerem und durchsichtigerem Lichte erscheinen
läßt. ES war notwendig, hie und da in der Zitierung von Literatur etwas weit zu gehen,

Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. 4? (1922) S. 31: l)r. med. A. Martin, Medizi»-, Knltur-
nnd Kunstgeschichtliches zum Isenheimer Altar, mit reicher Literaturangabe.

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