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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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1. Heft
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Rohr, Ignaz: Ein Jahrhundert Diözesanbaugeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0006
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ctitcn Plan, der heute noch der Gegenstand des Staunens aller Kunstfreunde
ist, und dem Pfarrer von Böttingen bei Spaichingen liefert ein Zimmermann
von Reichenbach einen Riß, den der Rottweiler Werkmeister nur zu geneh-
migen braucht und dessen Gediegenheit wir heute noch anerkennen müssen.
Und mögen die Unterschiede der Maßverhältnisse zwischen dem stolzen Mün-
ster der Abtei und der schlichten Landkirche auf dem Heuberg oder der Zwie-
falter Alb noch so groß sein: eines haben sie in der Regel miteinander gemein:
Bodenständigkeit des Aufbaues, Klarheit der Raumgestaltung, treffliche Be-
leuchtung, sonnige Grundstimmung, harmonische Inneneinrichtung und meist
auch eine ausgiebige Akustik. Dann kamen Revolution, Kriege^ Säkulari-
sation, und als die Welt nach zweieinhalb Jahrzehnten wieder aufatmete, da
hatte sich eine g e w a l t i g e V e r f ch i e b u n g z u U n g u n ft e n d e ö K a t h o-
liziSmus vollzogen: das römische Kaisertum, die geistlichen Kurfürsten, die
Prälaten waren eingesargt, außerdem das Volk kriegSmüde bis inS Mark,
und als es nach etwa einem Menschenalter wieder zu Atem kam, da war die
Tradition abgebrochen, das Kunsthandwerk annähernd erstorben.

Und doch war mit dem Kirchengut nicht auch das kirchlicheLeben ver-
schwunden. Vielmehr erfuhr es auf allen Gebieten einen neuen Aufschwung.
Die Erneuerung der Kunst war nur eine Frage der Zeit. Vorerst baute man
so nüchtern als möglich in einer Manier'), die den bezeichnenden Namen Finanz-
kammerstil bekam, und deren Werke der unvergeßliche Prälat Schwarz mit
den kurzen und dürren Worten kennzeichnete: eine Steinkiste und ein Holz-
deckel darauf. Eine Finanzkammerkirche zu restaurieren, ist eine sehr heikle
Aufgabe. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: bemalen, denn dazu sind ge-
nügend Flächen und meist auch Licht da — nur sind Wandmalereien und gemalte
Fenster nebeneinander zuviel — oder stuckieren mit Lifenen, Stichkappen,
Spiegelgewölbe — aber beides sehr teuer. Einen Vorzug aber haben diese
Kirchen meist mit denen aus der Zeit vor der Revolution gemein: sie sind licht,
hell, weiträumig, und ich war sehr überrascht, als eine feingebildete und tief-
religiöse Frau mir sagte: „In Ihrer Heimatkirche wird es einem so leicht ums
Herz." - Es ist eine Finanzkammerkirche. Nach und nach aber griff man
wie überall, so auch in der Baukunst zurück auf die Blütezeit kirchlichen Lebens
im Mittelalter. Man baute romanisch und gotisch. Im einen und
anderen Falle war der Unterschied lediglich der rundbogige oder spitzbogige
Fenfterabschluß. Daß die beiden Stile je ein ganz anderes Konstruktionsprin-
zip hatten, der romanische Mauerbau, der gotische Pfeilerbau war, also der
eine den Druck gleichmäßig verteilte, der andere auf einzelne Stützpunkte kon-
zentrierte, das wurde man erst nach und nach gewahr, und schließlich handelte
man auch darnach. Ein äußerer Grund beschleunigte die Entwicklung.
Freizügigkeit und Industrie steigerten die Anziehungskraft der Städte und
damit den Zustrom auch katholischer Landbewohner nach dem Mittelpunkt und
den Städten Altwürttembergs. Die Diaspora entwickelte sich rapid und

Ein redlicher Eifer soll der damaligen Zeit nicht abgesprochen werden. Als einer der schlagend»
sten Beweise desselben mag die Tatsache gelten, daß fast genau die Hälfte der Kirchen des Dekanates
Oberndorf ibr angebört.
 
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