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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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2. Heft
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Naegele, Anton: Aus der Lorenzkapelle in Rottweil
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0044
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pellenkirche und Heiligkreuzkirche. Getzeny hat aus den von Kirchenrat
vr. Durfch zusammengebrachten schwäbischen Schnitzwerken folgende Sta-
tuen ausgewählt: Die heilige Elisabeth von Thüringen, ein Bild-
werk ulmischer Herkunft um 1490, in der ursprünglichen Fassung erhalten.
Das vornehme Gewand der edlen Gestalt mit dem mütterlich-gütigen Gesicht
kontrastiert merkwürdig zu der Figur des armen, ganz klein dargestellten
Bettlers. Ich verweise noch auf den ikonographisch seltenen Zug im Rott-
weiler Bildwerk. Die Landgräfin läßt den armen barfüßigen Bettler aus
einer Kanne trinken, deren Ausgußrohr der Durstige mit Inbrunst an den
Mund setzt. Weit häufiger ist die Beigabe von Brot zur Austeilung an einen
oder viele Arme, oder das AuSgießen des durststillenden Getränks in eine
Schale, wie auf Holbeins berühmtem Gemälde, oder endlich das Rosenwunder.

Bekannter, durch Bild und Wort oft inner- und außerhalb seines Ur-
sprungslandes nähergebracht, ist die Eriskircher Gruppe M a r i ä H e i m-
suchung. Um 1420 entstanden, ist sie eine der ersten Vertreterinnen des
neuen Stils der gotischen Plastik, der „an die Stelle des malerischen, breit-
weichen Stils eine neue starke Körperlichkeit und eine lebhafte Bewegung"
fetzt. Maria und Elisabeth werden nicht, wie später meist üblich ist, in der
Szene der Umarmung dargestellt, sondern stehen einander gegenüber, die
Arme über der Brust gekreuzt, zum Zeichen der Begrüßung. Der nach dem
ursprünglichen Standort als „Meister von Eriskirch" bezeichnete, längere
Zeit mit Friedrich Schramm von Ravensburg identifizierte Künstler macht
besonders Kopf und Hand zum Träger seelischen Ausdrucks. Ganz hingerissen
von dieser einzigartigen Innigkeit des Gesichts der Elisabeth schreibt Baum
im oben angeführten Werke: „Mit Worten nicht zu fassen ist der milde Aus-
druck alles verstehender Mütterlichkeit im Antlitz der Eriskirchener Elisabeth".
Nicht weniger bewundernswert ist der Gegensatz „der leiderfahrenen, reifen
Mutter und der jungen, werdenden Mutter" in der Eriskirchener Gruppe zur
Darstellung gebracht.

Das dritte und vierte Bild sind zwei Meisterwerke des aus Reichenhofen
(Oberamt Leutkirch) stammenden Ulmer Bildhauers (und MalerS?) Hans
Multscher gewidmet. Beide Figuren, St. Maria Magdalena und
St. Barbara, stammen aus dem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster
Heiligkreuztal und gehören den letzten Jahren seines Lebens an. Warum
sie gerade um 1455 und nicht ebensogut in einer weniger den Schein fehlender
chronologischer Urkundlichkeit vortäuschenden Rundzahl um 1450 entstanden
sein sollen, ist einem, der den Widerspruch zwischen rein formaler, stilkritischer
Iahrfünfttaxierung und nachträglich entdeckter urkundlicher Fixierung von
Kunstwerken mehr als einmal feftstellen konnte, nicht recht ersichtlich. Magda-
lena mit dem Salbgefäß und Barbara mit dem Kelch sind, bei aller Ver-
wandtschaft in Gewand und Haltung (bauschig flutende Kleider mit knorpe-
ligen Faltenbrüchen), im Gesichtsausdruck doch verschieden individualisiert.
Magdalena schaut mit träumerisch-sinnenden Augen und einem leisen, fast -
schalkhaften Lächeln um den Mund vor sich nieder, Barbara blickt „mit klaren
ernsten Augen offen in die Welt".

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