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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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2. Heft
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Naegele, Anton: Aus der Lorenzkapelle in Rottweil
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0048
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Rottweiler Studienjahren ist es selbst einem der verehrten geistlichen Pro-
fessoren, der sich im letzten Stundenviertel öfters in allerhand Digrefsionen
vom humanistischen Gebiet aus die Gegenwart zu ergehen liebte und manchmal
sich als Inhaber der eingegangenen St. Lorenzpfründe bekannte, meines
Erinnerns nie eingefallen, zur Besichtigung der Kunstschatze seiner säkulari-
sierten und doch eigentlich nicht profanierten Stiftungskapelle aufzumuntern.
Welches Labsal nach der Lektüre der selbst für einen begeisterten Humanisten
steifledernen rhetorischen Schriften Ciceros oder hohlen Deklamationen grie-
chischer Sophisten wäre ei» solcher Gang in ein Heiligtum altdeutscher Kunst
gewesen! Welche Belebung hätte der mehr dogmatisierende Kirchengeschichts-
unterricht oder vollends der sonst begeisternde Weltgeschichtsvortrag erfahren
können, wenn in jenen Tagen im Original oder auch nur in einer winzigen
Abbildung solche Meisterwerke deutscher Kunst gezeigt worden wären! Wie
llelite das Bild beinahe das Wort verdrängt, so hatte dau,als das Wort keinen
Raliui für das Bild gelassen. Selbst in der antiken Archäologie war das
Bildmaterial in Lehrers lind Schülers Hand gleich dürftig.

Fast wie ein Weltwunder ward es angestaunt — um von den disziplinären
Folgen solch literarischer Überhebung und Eigenmächtigkeit zu schweigen
als zwei Konviktoren, durch Zufall eines bebilderten Prospektes teilhaftig
geworden, einige Lieferungeil von HirtS Klassischem Bilder- und Skulpturen-
schatz bestellten und einen Blick in eine ungekannte neue Welt von Kunst und
Religion, bisweilen auch von Kunst und Schönheit werfen durften. Der
„andere", weniger beschwert von der Kunst der heidnischen Antike, noch etwas
früher lind intensiver „kunftkoquifch" sich betätigende Studienfreund, dem
der Schreiber dieses schon damals manche Anregung verdankte, war der für
den Posten eines DiözesankunftvereinSvorftands wie nur einer berufene jetzige
Pfarrer von Lautlingen. Nur wegen des einiilal vom hochverehrten Gym-
nasialrektor ohne Bilder gehaltenen Vortrags über Orpheusbilder und das
Rottweiler OrpheuSmosaik wurde der Wunsch, einmal den merkwürdigen
Aufbewahrungsort dieses altrömischen Kunstwerks zl, sehen, bald leiser, bald
lauter geweckt und endlich einmal befriedigt, aber ohne jeden Versuch, die
übrigen wertvolleren Schöpfungen altdeutscher Kunst deul Sinn und Ver-
ständnis näherzubringen. Vierzig Jahre noch mußte gewartet werden, bis,
abgesehen von späterer literarischer Beschäftigung nlit Rottweiler Gotik lind
ihrem Verhältnis zur Gmünder Architektur und Steinplastik (besonders durch
Paul Hartmann, Gotische Monumentalplastik in Schwaben, 19IO), die völlig
verwischte Spur des einzigartigen KunfttempelchenS wiederaufgefrischt wurde,
l«nter gottlob ganz anderen, günstigeren Geistesvorbedingungen. Olim memi-
nisse-non semper-iuvabit! Nicht immer fällt auch für den noch so großen Lieb-
haber der Tradition die Wagschale der Vergangenheit, der sogenannten guten
alten Zeit. Wenn je ein Fortschritt bei den nicht in allweg gutzuheißendeu
Umwälzungen der modernen Pädagogik unbestreitbar ist, dann ist es der Fort-
schritt der Anschaulichkeit des Unterrichts, die Verwertung des Bildes in
jedeni UnterrichtSzweig, und vor allem die immer höhere Schätzung und Wer-
tung der Kunst, vor allem auch des eigentlichsten Fideikommißguts von katlw-

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