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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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2. Heft
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Höhn, Heinrich: Dürers Kunst und die Natur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0069
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rein mit farbigen Mitteln in klangvollen Akkorden wieder, ohne irgendwie
der Linie, der er sonst so gern seinen Naturgewinn anvertraut, zu gedenken.
Schier unerschöpflich ist er in der Weise seines Ausdruckes. Als ein rechter Er-
oberer von Tatkraft, Kühnheit und Geist läßt er alle nur erdenklichen Mög-
lichkeiten spielen, um der Siegesbeute ja sicher und völlig habhaft zu werden.
Und das herrliche biblische Wort des Alten Testaments: ich laste dich nicht,
du segnest mich denn, darf wohl auch auf Dürers Ringen um den Vollbesitz
der Natur angewendet werden und spricht selbst aus unscheinbaren und nur
ganz gelegentlichen Naturstudien seiner rastlosen Hand.

Neben dein großen Schatz seiner studienhaften Naturspiegelungen und sei-
nen nach der Natur gemachten Vorarbeiten für Kompositionen erzählen seine
fertigen Werke, seine Holzschnitte, Stiche und Gemälde auf Schritt und Tritt
davon, wie heiß er um eine möglichst reiche Naturkenntnis sich bemüht hat.
Da ist nun keine Stelle, die gleichgültig ließe oder tot wäre. Fehler in der
„Richtigkeit" der Darstellung mögen Vorkommen, es kann ihm ein Kunstwerk
auch einmal nur mäßig gelingen, Nachlässigkeiten, Gleichgültigkeiten oder
Lücken sind niemals zu finden. Irgendwie spricht erlebte Natur bei Dürer
immer. Er konnte, er wollte ohne sie als Künstler nicht sein.

Darin war er der typische Sohn seiner Epoche in Deutschland, die aus
der Einzelbeobachtung des entschiedenen Realismus der spätgotischen Malerei
in jene Naturdarstellnng begeistert sich hinwendete, die die Wirklichkeit und
ihre Geschöpfe als organisches Leben erfaßt und in ihrer lebendigen Ganzheit
und nun erst wirklich überzeugend nachzubilden weiß. Denn die Renaiffance,
in die Dürer hineinwuchs, brachte den Menschen, der im Mittelalter eine
Kunst pflegte, die Natur nur sinnbildlich oder als Inbegriff der Sünde und
des Fleisches gelten ließ, in eine ganz neue schöpferische Beziehung zur Natur.
Sie stellte den Menschen in die Mitte der Schöpfung und erklärte ihn wie
Pflanze, Tier und Landschaft als gleich würdig vor Gott und vor der gestal-
tenden Macht der Kunst. Es war mit dieser Geistesbewegung, die zunächst
bloß eine Erneuerung der Antike und ihrer Naturauffaffung herbeiführen
wollte, aber das Verhältnis des Menschen zur gesamten Natur von Grund
aus änderte, eine Wandlung von ungeheurer Tragweite angebrochen. Wie
eine Binde fiel eS von den Augen, die eben noch nach innen geschaut und Ge-
sichte geschaut hatten, und diese Augen lernten das Seh- und Greifbare ihrer
Umwelt, der warmen, grünen, allbelebten Erde erblicken und sich zu eigen ma-
chen, und die Hände, die nicht lange vorher noch Sinnbilder und Abstraktionen
naturferne geformt hatten, gestalteten alsbald mit größter, freudigster Be-
gierde das neue Erfahrungsgut. Nicht ganz plötzlich freilich kam die gewaltige
Wendung zur Natur hin. Im Norden, in den Niederlanden, arbeitete ein
schnell anwachsender Realismus, wie er in den Werken etwa der Miniaturen
der Gebetbücher und der Gebrüder van Eyck sich bekundete, der Renaiffance
höchst wirksam vor, ja er war zu einem guten Teil selbst schon Wiedergeburt,
Neugeburt des Natursinnes und damit Renaiffance. Deutschland folgte un-
mittelbar und zu einem guten Teil unabhängig von den Niederlanden.

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