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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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3. Heft
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Höhn, Heinrich: Dürers Kunst und die Natur, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0095
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war manchmal von frisch vorandringendem Wahrheitswillen, von hohem
künstlerischem Ernst, von reichem und erschütterndem Ausdruck, allein solche
Bildungen gingen nicht auS einem entschlossenen Naturstudium hervor und
vermittelten nur ungefähre, dem Gedächtnis entnommene Wirklichkeitsein-
drücke. Selbst der große Schongauer, dem Dürer als Zeichner und Stecher
manches verdankte, blieb vor der Türe, die erst wirklich ins Land der Erkennt-
nis hineinführte, stehen: auch seine Menschenleiber sind nicht eigentlich orga-
nisch gewußt und geformt, und sie haben, spitzig, eckig und zierlich-tänzerisch
oder unbeholfen bewegt wie sie sind, keine ganz unmittelbare und kräftige Be-
ziehung zur unbefangen und überschwänglich reich blühenden Natur. Keines-
wegs soll damit abgeleugnet sein, daß er zuweilen verhältnismäßig weit schon
über seine deutschen Zeitgenossen hinauslangte: sinnlich-körperlich ganz über-
zeugende Gestalten wie etwa der auf der großen Kreuztragung auf Christus
cinschlagende Knecht im Vordergrund, bleiben auch in seinem Lebenswerk doch
vereinzelt. Dürer mußte im Grunde die ganze Arbeit tun, um den neuen Weg
zu vollgültiger Menschendarstellung frei zu machen. Er geht schon bald, im
Anfang der neunziger Jahre, an das große Problem heran: die schöne frühe
Zeichnung eines unbekleideten Weibes mit Kopftuch und mit der rechten Hand
vor der Brust, trägt die Jahreszahl 1493 (Sammlung Bonnat, Paris).
Sie ist sehr naturnah und lebendig in der Behandlung der körperlichen Run-
dung und der durchgedrückten Knie. Die Zeichnung mit dem Frauenbad von
1496 gehört zu den besten Aktdarstellungen Dürers und muß als eine Schöp-
fung, die gedrängt voll von selbständig gesehenem frischem Leben und nur im
Geist der ausgezeichnet guten Anordnung der Figuren von italienischer Kunst
beeinflußt ist, recht hoch eingeschätzt werden. Auch in den frühen Holzschnitten
und Stichen stoßen wir auf unbekleidete Figuren, welche seiner eigenen Na-
turbeobachtung und Gestaltung angehören: die kraftstrotzenden Akte des
Männerbades (B. 128), um 1496, der Oberkörper des Johannes auf der
Schilderung seines Martyriums in der Holzschnittfolge der Apokalypse
(B. 61), 1498, die Gestalt Christi auf der Geißelung der großen Passion
(B. 16) um 1498 und auf der Grablegung derselben Holzschnittreihe wie auch
die wohl noch vor 1495 fallenden Stiche mit dem heiligen Hieronymus in der
Wüste (B. 61) und dem kleinen Glück (B. 78) legen klar von seinen unab-
lässigen Bemühungen Zeugnis ab, möglichst auf eigenen Wegen dem Ziel sich
zu nähern.

Aber es genügen ihm seine Ergebnisse nicht. Er sieht auf Stichen und
während seiner ersten Italienreise (1495 oder 1497) italienische Dar-
stellungen des nackten Leibes, die in der Erfassung des organischen Aufbaues
des Körpers des Menschen und der Veranschaulichung ebenmäßiger mensch-
licher Schönheit seinen Aktdarstellungen überlegen sind. Und so studiert er
denn die Italiener mit suchender Leidenschaft, kopiert 1494 zwei Stiche des
Mantegna: das Bachanal und den Kampf von sagenhaften Meergeschöpfen,
einen Tod deS Orpheus nach dem Stich eines unbekannten oberitalienischen
Meisters, eine Schilderung eines Frauenraubes von Pollajuolo und 1495
ein liegendes Jesuskind nach Lorenzo di Credi. Ganz besonders wirkt sich der

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