ARCHIV
FÜR CHRISTLICHE KUNST
Organ des Rottenburger Diözesan-Kunftvereins
Redigiert von Profefsor Or. A. Nägele, Schwab. G m ü n d, V o g e l h o f 3.
Eigentum des Rottcuburger Diözcsan-Kunst-
vereins «• V. / KommissionS-Verlag der
Schwabenverlag Aktiengesellschaft Stuttgart.
Erscheint vierteljährlich. / Bezugspreis jähr-
lich Mk. 7.50 / Bestellungen nehme» sämtl.
Buchhandlungen sowie auch derVerlagentgegen
XLIII
4. Heft
1928
Himer AlWuihkimfl Des fpaten Ifliittelalters
Ein Bericht über daö neueste Schrifttum von Otto Häcker, Ulm.
Verhältnismäßig spät hat sich der Kunstsinn der Ulmer Bahn gebrochen.
Obgleich Ulm schon zur Hohenstaufenzeit eine Kaiserresidenz war und schon
mindestens ein halbes Dutzend Klöster beherbergte, sind uns aus romani-
scher Zeit außer kümmerlichen Resten weder Denkmäler erhalten noch urkund-
liche Nachrichten über bedeutendere Bau- oder Bildwerke. Auch noch in der
ersten Hälfte der Gotik, zu einer Zeit, als Ulm auf politischem und wirt-
schaftlichem Gebiet schon führend war, stehen in der bildenden Kunst kleinere
Reichsstädte wie Rottweil und Gmünd voran. Aus der Zeit vor dem Münster-
bau besitzen wir in Ulm als einziges bedeutenderes Baudenkmal den schlichten
Chor der Dominikanerkirche (heute Dreifaltigkeitskirche) und als einzige nam-
hafte Bildwerke die Giebelfeldskulpturen einiger Portale des Münsters von
der abgebrochenen Frauenkirche über Feld, deren ältestes von 1396 stammt').
Eher dürfte die Wandmalerei in dieser Zeit schon heimisch gewesen seilst).
Die Großtat der Münftergründung im Jahre 1377 brachte die entschei-
dende Wandlung. Zum Plan und zu den ersten Steinmetzarbeiten des Münsters
mußten noch Fremde herbeigerufen werden: die Parier von Gmünd, die in Prm
am Hof Karls IV. europäischen Ruf erlangt hatten. Dann aber blühte die Ulmer
Kunst um so kräftiger auf. Das Bedürfnis nach würdiger Ausschmückung der
ungeheuren Räume, der wachsende Reichtum der Ulmer durch Handel, Ge-
werbe und Gebietserweiterungen, die Anfeuerung ihres Kunstsinnes durch
jenes Riesenunternehmen und die Anlockung auswärtiger Kräfte durch die
lohnende Arbeitsgelegenheit — alles das wirkte zusammen, um in diesem Zeit-
alter der Spätgotik, also von der Münftergründung an bis zur Refor-
Vgl. Julius Baum, Gotische Bildwerke Schwabens (von 1250 bis 1450; Augsburg, L. Filser
1921). Herm. Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwabe» (Leipzig, Jn-
selverlag 1927).
2) Aus der Zeit vor dem Münsterbau (Mitte des 14. Jahrhunderts) stammen die Fresken in der
Sakristei der Drcifaltigkeitskirche, in der Spitalkapelle und in einem Gewölbe des Ehinger Hofs an der
Herdbruck. ':
109
FÜR CHRISTLICHE KUNST
Organ des Rottenburger Diözesan-Kunftvereins
Redigiert von Profefsor Or. A. Nägele, Schwab. G m ü n d, V o g e l h o f 3.
Eigentum des Rottcuburger Diözcsan-Kunst-
vereins «• V. / KommissionS-Verlag der
Schwabenverlag Aktiengesellschaft Stuttgart.
Erscheint vierteljährlich. / Bezugspreis jähr-
lich Mk. 7.50 / Bestellungen nehme» sämtl.
Buchhandlungen sowie auch derVerlagentgegen
XLIII
4. Heft
1928
Himer AlWuihkimfl Des fpaten Ifliittelalters
Ein Bericht über daö neueste Schrifttum von Otto Häcker, Ulm.
Verhältnismäßig spät hat sich der Kunstsinn der Ulmer Bahn gebrochen.
Obgleich Ulm schon zur Hohenstaufenzeit eine Kaiserresidenz war und schon
mindestens ein halbes Dutzend Klöster beherbergte, sind uns aus romani-
scher Zeit außer kümmerlichen Resten weder Denkmäler erhalten noch urkund-
liche Nachrichten über bedeutendere Bau- oder Bildwerke. Auch noch in der
ersten Hälfte der Gotik, zu einer Zeit, als Ulm auf politischem und wirt-
schaftlichem Gebiet schon führend war, stehen in der bildenden Kunst kleinere
Reichsstädte wie Rottweil und Gmünd voran. Aus der Zeit vor dem Münster-
bau besitzen wir in Ulm als einziges bedeutenderes Baudenkmal den schlichten
Chor der Dominikanerkirche (heute Dreifaltigkeitskirche) und als einzige nam-
hafte Bildwerke die Giebelfeldskulpturen einiger Portale des Münsters von
der abgebrochenen Frauenkirche über Feld, deren ältestes von 1396 stammt').
Eher dürfte die Wandmalerei in dieser Zeit schon heimisch gewesen seilst).
Die Großtat der Münftergründung im Jahre 1377 brachte die entschei-
dende Wandlung. Zum Plan und zu den ersten Steinmetzarbeiten des Münsters
mußten noch Fremde herbeigerufen werden: die Parier von Gmünd, die in Prm
am Hof Karls IV. europäischen Ruf erlangt hatten. Dann aber blühte die Ulmer
Kunst um so kräftiger auf. Das Bedürfnis nach würdiger Ausschmückung der
ungeheuren Räume, der wachsende Reichtum der Ulmer durch Handel, Ge-
werbe und Gebietserweiterungen, die Anfeuerung ihres Kunstsinnes durch
jenes Riesenunternehmen und die Anlockung auswärtiger Kräfte durch die
lohnende Arbeitsgelegenheit — alles das wirkte zusammen, um in diesem Zeit-
alter der Spätgotik, also von der Münftergründung an bis zur Refor-
Vgl. Julius Baum, Gotische Bildwerke Schwabens (von 1250 bis 1450; Augsburg, L. Filser
1921). Herm. Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwabe» (Leipzig, Jn-
selverlag 1927).
2) Aus der Zeit vor dem Münsterbau (Mitte des 14. Jahrhunderts) stammen die Fresken in der
Sakristei der Drcifaltigkeitskirche, in der Spitalkapelle und in einem Gewölbe des Ehinger Hofs an der
Herdbruck. ':
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