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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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4. Heft
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Häcker, Otto: Ulmer Bildschnitzkunst des späten Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0121
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sellen, welche die ausdrucksvolleren sitzenden Apostel und stehenden Märtyrer
am Münsterhauptportal geschaffen haben, unter Einflüffen von Westen (Bur-
gund) sich frei zu machen begonnen. Aber erst der Feuergeist Multscher, desien
oberschwäbisches Ungestüm wie ein Gebirgsbach in die herkömmlichen Bahnen
der Ulmer Kunst hereinbrach, brachte die entscheidende Stilwende zum spät-
gotischen „Realismus", der wirkliche Menschen in allen ihren Leidenschaften
aus dem Stein formte, vermutlich befruchtet durch Wanderjahre in Burgund
und Flandern, wo er Vorbilder für feine Karg-Nische vorfand, aber doch im
wesentlichen schöpfend aus eigener Erfindungsgabe. Außer dem im Bilder-
sturm zerstörten Karg-Altar von 1433, der urkundlich beglaubigt ist, weist
ihm der Verfaffer übereinstimmend mit der herrschenden Meinung an ein-
heimischen Steinbildwerken aus jener Frühzeit den Schmerzensmann am
Hauptportal des Münsters und einen Teil der Figuren an den Rathaus-
fenstern zu (Karl den Großen mit seinen Schildknappen, vielleicht auch zwei
der Kurfürsten). Die acht Altarflügel aus Wurzach im Kaiser-Friedrich-
Museum zu Berlin von 1437 überraschen unö dann durch die urkundliche
Nachricht, daß Multscher sich auch in der Malerei betätigte, wobei gleich-
falls, wie schon erwähnt, seine derbe, dramatisch lebendige und plastisch ranm-
erfaffende Art gegenüber der bisherigen Ulmer Malweise mit ihren schweben-
den, unpersönlichen Gestalten und ihrer flächigen Sehweise einen wesentlichen
Fortschritt darstellt, gleichfalls auf Grund von Vorbildern aus Burgund und
Flandern, aber auch in Anlehnung an die „Bodenfeefchule" (Konstanz und
Ravensburg), welcher der Oberschwabe Mullscher heimatlich nahestand. Es
sind Bilder von der Art, wie sie Goethe bei der Betrachtung altdeutscher Ge-
mälde der Sammlung Boifferee zu dem Ausspruch veranlaßten: „Wahrhaftig,
aus dem schlägt uns die Wahrheit wie mit Fäusten entgegen!"

In seiner zweiten Lebensperiode wendet sich M. vorwiegend der Holz-
bildnerei zu, wie wir aufs genaueste aus den Akten wissen, die uns über
den Hochaltar von Sterzing erhallen sind. Der Ruf Multschers unter
seinen Zeitgenossen läßt sich daran ermessen, daß die Stadtväter dieses tiro-
lischen Städtchens zur Ausschmückung ihrer Liebfrauenkirche einen Künstler
aus der fernen Schwabenstadt beriefen und ihm 1456 zum Vertragsabschluß
bis Innsbruck entgegenreisten. Zwei Jahre lang arbeitete er in Ulm an diesem
Holzschnitzwerk, namentlich den wundervollen großen Schreinfiguren (Maria
mit Kind, vier weibliche Heilige, acht Engel), den Heiligen Florian und Georg
in Ritterrüstung, den 13 Altarstaffel-Reliefbüften und den kleineren Figuren
der Krönung. Diese große Arbeit scheint ihm keine Zeit gelassen zu haben,
auch die Flügelgemälde selbst zu fertigen, die den Schnitzereien nicht ebenbürtig
sind. Auch sonst scheint Multscher seine Kraft nun ganz auf die Holzplastik
beschränkt zu haben, von der uns noch manch herrliches Werk erhalten ist, in
dem wir auch ohne urkundliche Beglaubigung seine Meisterhand erkennen, so
eine Muttergottes mit Kind in Landsberg am Lech und eine ähnliche ans
Bihlafingen (von I. Baum entdeckt und fürs Ulmer Museum angekauft),
sowie ein Christus auf dem Palmesel im Kloster Wettenhausen, von welchem
derjenige im Ulmer Museum wohl eine Werkftattnachahmung ist. Dabei ist eS

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