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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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4. Heft
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Spektator: Von der Stuttgarter Ausstellung im Diözesanjubiläumsjahr: Religiöse Kunst der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0132
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3. Kirchliche Baukunst.

Den letzten großen Saal füllen Architekturentwürfe und Modelle in glücklicher Mischung
des sonst die Masse der AusstellungSbcsucher nicht sehr fesselnden Auöstellungsmaterials. An
der Hand von Grundrissen, Aufrissen, Zeichnungen und Lichtbildern, Modellen von Bau-
teilen und ganzen Anlagen kennen wir die neueste Entwicklung der kirchlichen Baukunst
innerhalb der Diözese Rottenburg verfolgen. Nach Qualität und Quantität der neuzeit-
lichen Bauschcpfungen nimmt der aus Gmünd gebürtige Hans Herkommer (Stutt-
gart) den ersten Platz unter den zehn ausstellenden Architekten ein. War das Bild seines
genialen Schaffens auf der letztjährigen Ausstellung christlicher Kunst in München (Neubau
am Glaöpalast) fast noch kümmerlicher eingeschränkt als auf der Gmünder Jubiläums-
ausstellung des Rottenburger Diözesankunftvercins"), so sind glücklicherweise auf der Stutt-
garter Ausstellung des DiözesankunstvereinS im Iubiläumsjahr des Bistums diese
Schranken gefallen. Wir sehen nicht nur HerkommerS wichtigste Kirchenbauten innerhalb
und außerhalb Württembergs in trefflichen Abbildungen und zum Teil auch in Modellen;
besonders lehrreich auch für Nichtfachleute ist der Einblick in seine meisterhafte Raum-
beherrschungskunft, den uns seine Tafel der Raumquerschnitte bietet. Welch reicher Wechsel
der Brcitcnverhältniffe und Deckenwölbungsmaße, angefangen von der Kirche zu Straßdorf
(1913), über Wißgoldingen (1919), Hüttlingcn (1921), Bruchsal (1922), Saarbrücken
(1913— 1923), Heilbronn (1925), bis zum Abschluß des großen Baujahrs 1927 mit
Ulm, Berlin, Frankfurt, Ratingen-Düsseldorf, denen heuer Schömberg folgen soll, dann
Schneidemühl und wohl noch St. Wendel im Saargebiet. Besonders interessant ist neben
den völligen Ncuschöpfungcn, die aus der Wahl des neuen Baustoffs (Eisenbeton), aber
auch der neuerwachten Baugesinnung und endlich der neuesten schrecklichen Finanznot der
Kriegs- und Inflationszeit erwachsen sind, die neuzeitliche Umbildung des historischen
Hallenstils zu beobachten, die Herkommer in der Frankfurter Friedenskirche vollzogen hat
und die ihm den schließlichen Sieg in dem gewaltigen Wettbewerb trotz anderslautenden
ersten Votums des Preisgerichts brachte. Was an HerkommerS Projekten und auch an
manchen seiner Mitbewerber, vor allem Dominikus Böhm (Köln), dem Meister der Neu-
Ulmer Friedcnskirche, das Größere ist, ob der RhvthmuS der Baumasscn, die Aufteilung
des Innenraums, die Gliederung von Schiff und Chor oder die imposante Pracht der ein-
ladenden Schausciten und lust not sonst die Gestaltung des Außenraums und Häuserblocks
in der Umgebung des Gotteshauses, ist oft schwer zu sagen. Wohl haftet diesen und anderen
sakralen Bauten der Gegenwart noch etwas vom Ausgangspunkt der neuzeitlichen Bau-
technik, den Industriebauten des Westens und den von ihnen übernommenen Bahnhofbauten,
wie Bonatz' Stuttgarter Bahnhoffassade, an — selbst der Kritiker unserer Diözesankunst-
vereinsausstellung im „Staatsanzeiger für Württ." — (Nr. 174, 27. Juli 1928, S. 4)
weist auf die Herkunft mancher Züge im kirchlichen Außenbild aus internationalem Fabrik-
tvp und Jndustriestil hin. — Aber die liturgische Baugesinnung hat auch hier über die
Technik den Sieg davongetragcn und besonders in Großftadtkirchcn Massengliederung und
Monumentalwirkung erreicht. Und schließlich buchen wir noch einen Fortschritt kirchlicher
Baukunst der Gegenwart, der in den letzten Perioden schwächlicher Stilimitation fast ver-
loren gegangen war, die Zusammenarbeit aller Künste im Dienste des GottestempelS,
die einheitliche Gestaltung von Plastik und Malerei und Kunsthandwerk nach den Prinzipien
des neu beherrschten und gestalteten Raumes. Fresken, Mosaiken, Altarbilder und Altar-
statuen, Teppichhintergründe und ähnliche bedeutsame Leistungen gingen aus dem harmo-
nischen Zusammenwirken von Baumeister und bildenden Künstlern hervor, zum Vorteil der
Gesamtwirkung. Neben einem der altchristlichen Basiliken würdigen Sakralstil ist in der
farbigen Raumbehandlung manche abwegige, maßlos starke, ja buntscheckige Wirkung erzielt
worden und im Taumel eines unvergorenen Expressionismus oder beim Mangel tüchtiger,
entsagungsreich langer Kunstschulung in Akademie und Praris der schreiende Zwiespalt
zwischen linearer und farbiger Behandlung zutage getreten. Die Scheu vor solchen kurz-
lebigen Experimenten mußte lähmend auf den Markt kirchlicher Kunstbctätigung wirken.

») Siche Archiv für christl. Kunst >927, S. 71 ff.

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