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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 44.1929

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Heft 1
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Naegele, Anton: Zwei alte Meisterwerke aus dem neuen Rottenburger Diözesanmuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.15947#0032

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sprünglichen Schönheit ihrer Fassung erhalten. Im Jahr 1927 kam die ganz
hervorragende Skulptur aus Unterweiler, DX Saulgau, ins Diözesan-
museum zu Rottenburg. Maria sinkt vor Schmerz gebeugt zusammen und wird
von den dem Heiland bis zum Kreuz und Grab folgenden drei Getreuen gehalten.
Johannes, fast weiblich zart im Angesicht gebildet, hält den rechten Arm Ma-
riä, die beiden Frauen, in Kleidung und Gesichtsausdruck fast ganz gleich ge-
bildet, werden die zwei ,,Verwandten des Herrn" und seiner Mutter sein,
Maria Salome und Maria Jakobi, die ebenfalls nach den Evangelisten unter
dem Kreuz Jesu auöharrten: die eine legt die Hand auf Maria Schulter, die
andere stützt die Sinkende wohl von rückwärts und an der Seite. Wir stau-
nen über die Gelassenheit, die bei aller Tiefe des seelischen Leids in Haltung
und Antlitz der Teilnehmer am Kreuzesdrama zum wundervollen Ausdruck
kommt. Aus der lyrisch, episch und dramatisch bearbeiteten „Marienklage"
der zweiten Hälfte des Mittelalters ist dieses Bild Mariä Ohnmacht heraus-
gewachsen, eine weitere Frucht mystischen Versenkens in die Passion Christi
und die Kompassion Mariä. Schon das griechische Malerbuch vom Berg
Athos läßt Maria in Ohnmacht sinken und von den Myrrhenträgerinnen
halten. Dichter wie Künstler, fromme Meditationen, wie die fälschlich dem
hl. Bonaventura zugeschriebenen, von einem späteren Franziskanermönch
stammenden Passionsbetrachtungen scheinen den Anfang des ergreifenden
Hymnus: Stabat Mater Dolorosa durchaus nicht in dem philologisch und
physisch wörtlichen Sinn standhaften Stehens aufgefaßt zu haben. So kommt
denn die Marientrauer als Nebengruppe sowohl auf Bildern der Kreuzigung
als der Kreuztragung und selbst der Grablegung vor (vgl. aus vielen Belegen
Wohlgemut, Rogier van der Wenden, Giotto, Sodoma, Perugino, Rafaels
Grablegung).

Ein Bindeglied zwischen allen drei das christliche Mitgefühl besonders an-
regenden Begebenheiten aus der Passion bildet dann die in der Hochblüte der
Gotik und Mnstik ebenfalls aufgekommene und ausgebildete BeweinungSfzene,
die nur eine Vermehrung der Pietagruppe ist, Maria mit dem Leichnam Jesu
auf dem Schoß oder am Boden. Und selbst in dieses Vesperbild im engeren
Sinn hat künstlerische und poetische Phantasie bisweilen die Ohnmachtsszene
hineinkomponiert (vgl. Lorenzo Lotto, Abbildung bei Künstle, Jkonogr. 1.,
Nr. 256). Wenn der erste und einzige Jkonograph Schwabens, Heinrich
Detzel, der Verfasser des fürs Ende des 19. Jahrhunderts ansehnlichen
Werks der zweibändigen Christlichen Ikonographie (1894)'), die Darstel-
lung der in Ohnmacht sinkenden oder gar am Boden liegenden Maria, „der
Würde und Standhaftigkeit der hl. Jungfrau offenbar weniger entspre-
chend", findet im Gegensatz zu Stockbauers") Verteidigung, so werden wir
auch dieser einen unter den vielen poetischen und künstlerischen Weiterbildun-
gen heilsgeschichtlicher Stoffe die innere Berechtigung nicht versagen und in
den wechselnden Zügen des Bildes Christi und Mariä, wie sie die Hand der
Evangelisten und der altchristlichen und mittelalterlichen Künstler gezeichnet

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8) I 416 f.

9) Kunstgeschichte des Kreuzes S. 302.
 
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