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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 44.1929

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Heft 3
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Spectator, A.: Die neue Kirche in Baienfurt in Weingarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.15947#0097

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überwölbt eine reich gegliederte Decke in abgerundeter Parabelform. Die Rippen
des felderreichen, fast tonnenartigen Gewölbes find aus Holz, über den Balken
liegen Schlackenbetondielen, die der Festigkeit halber mit Eisen „moniert" sind
(Verbindung von Draht bezw. Eisen nach der Zufallsentdeckung des französischen
Gärtners Mougnier so genannt, nicht — montiert!). Die schmalen, 2 Meter
im Lichten breiten Seitenschiffe, welche besonders zu Umgängen geschickte
Seitengänge schaffen, zeigen Wölbung und Durchbruch in steiler Parabelform.
Köstliche Raumbilder und Durchblicke gewährt dieses Nebeneinander von tonnen-
artiger und parobolischer Wölbung (siehe Abbildung 2 und 5s?)

Ihre Wirkung wird noch erhöht durch die satte Grundfärbung der Wände
und Decke. Die hohen elliptischen Arkadenbögen, die sich zwischen Mittel- und
Seitenschiff öffnen, geben dem ganzen Raum eine weichere Schwingung, als
die bisher angewandten Rund- und Spitzbogen es vermögen. Die Statik der
Eisenbetonkonstruktion wird durch die Kunst des Kirchenbaumeisters in Rhythmik,
in beseeltes Schwingen umgesetzt; aus dem Mechanischen, Konstruktiven der
Berechnung wird und wächst das Organische, das Lebendige eines Baukörpers.
„Die mechanische Kurve wird zur beseelten Schwellung", wie treffend der
Herausgeber von O. Linders neuen Kirchen- und Profanbauten, Dr. ing. Eugen
Ehmann bemerkt?) Die neue Wölbungsart ergibt sich nach langer Erprobung
durch Fachmänner als Konsequenz von Statik und Dynamik des neuen Baustoffs
der Zukunft, des Eisenbetons. Auch für die Akustik bringt nach neuesten physika-
lischen Untersuchungen die Parabelwölbung günstige Wirkungen hervor, indem
hier die Tonwellen horizontal, nicht wie bei den alten Bausystemen in Segment-
bogen verlaufen. Schließlich wird jeder angesichts der ersten gelungenen Probe
in Baienfurt sich überzeugen können, daß die Parabel wie der gotische Spitzbogen
etwas Himmelanstrebendes hat, und so hat sich denn der greise, wie keiner in
Theorie und Praxis der kirchlichen Kunst erfahrene Bischof Paul Wilhelm von
K e p p l e r noch im letzten Lebensjahr nach persönlichem Augenschein und
persönlicher Fühlungnahme mit dem Baumeister von Oberndorf und Baienfurt
sein anfängliches Vorurteil gegen diese neue Wölbungsart aufgegeben.

Die etwas eingezogene Vorhalle mit dem Hauptportal, zu dem eine
breite Freitreppe führt, flankieren zwei Flügel, jedoch nicht nach Art von
Resaliten angelegt: der eine dient als Kriegergedächtniskapelle, über der eine
Paramentenkammer eingebaut ist, der andere als Aufgang zur Orgelempore.
Auch die Beichtkapellen sind an der Rückseite der Westwand in der Nähe des
Haupteingangs ebenso praktisch als einladend angelegt. Wie in einer stimmungs-
vollen Ouvertüre klingt in diesem „Paradies", der Eingangshalle, alles,
Architektur (Parabel mit Stichkappen), Farbe von Wänden und Fensterchen, zu
einem ernsten Introitus zusammen. Gedämpftes Licht fällt auch nach dem
Eintritt ins weitgeöffnete Innere durch die hohen F e n st e r, die im Schiff
dreiteilig, im Querschiff fünfteilig geschlitzt sind. Außer dem liturgisch vor-
geschriebenen Naturstein für die Westportaleinfassung ist das ganze Baustein-
material, Kunststein für Tür- und Fenstereinfassung und Schlackenhohlsteine
für die Umfassungsmauern, aus den örtlichen Kiesgruben gewonnen; diese

st Auffallenderweise war auf der Stuttgarter Christlichen Kunstausstellung 1928 von
diesen vielen herrlichen Raumbildern keines zu sehen.

st Architektur der Gegenwart I: A. O. Linder, Neue Kirchenbauten. Akadem. Verlag,
Stuttgart 1926 (Mk. 5.—) Seite 7.
 
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