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Amelung, Walther
Die Basis des Praxiteles aus Mantinea: archeologische Studien — München, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.4582#0032
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— 30 —

Häufig bemerkt ist die Verwandtschaft des Gewandes, welches die
kleinere Herculanenserin trägt (Hettner a. a. O., no. 140.
Vergl. die Zusammenstellung bei Sybel, Weltgeschichte der Kunst,
p. 254); auch diese Figur muss ausserordentlich beliebt gewesen sein,
denn sie ist unendlich oft wiederholt worden. Die Grösse ist bei allen
Exemplaren die nämliche, d. h. etwas über Lebensgrösse.')

Das Motiv des Gewandes und der Haltung hat sich aus dem der
eben besprochenen Figur entwickelt: der rechte Arm greift weiter
vor, die Hand hat den auf den linken Arm niederfallenden Teil des
Himation aufgenommen und scheint im Begriff, denselben über die
linke Schultor zurückzuwerfen; dabei ist das Standbein gewechselt
und das Spielbein ist lebhafter schreitend zurückgesetzt. Mit der
weiteren Verschiebung des rechten Armes ist auch der unter dem
Oberarm eingeklemmte Zipfel des Himation mit nach vorne verschoben.
Hierdurch ergeben sich Motive des Mantels, welche nur noch ganz
von ferne an die einfachen Faltenzüge der Musenfigur auf dem Basis-
relief erinnern. Aber auch im Vergleich zu der grossen Herculanen-
serin ist alles unruhiger geworden; das ganze hat etwas Momentanes
bekommen: die Figur scheint im Vorschreiten und in der Bewegung
des rechten Armes sinnend inne zu halten.

Bezeichnet die Figur also schon hierdurch eine weitere Entwicke-
lungsstufe, so werden wir auch bei näherem Vergleichen einen Abstand
in der Gewandbehandlung finden; hier ist nicht mehr die volle, einfache,
übersichtliche Anmuth des vorigen Werkes. Dort tritt der ganze
Kontur des Körpers deutlich zu Tage, die Massen des Gewandes dienen
demselben nur als Folie, seine Linien umspielen die Formen des Körpers
wie zarte anschmiegende Arabesken. Hier dagegen verschwindet
schon der Oberkörper mehr hinter Arm und Gewand, die Linie der
Taille und der Hütten bleibt weniger klar, und unten bildet der vom
Himation umspannte Chiton eine wenig gegliederte Stoffmasse, welche
das linke Bein fast verschwinden lässt, und, während man bei der
vorigen Figur kaum bemerkt, dass das Gewand einer bestimmten
Wirkung zu Liebe unter dem rechten Oberarm eingeklemmt wird,
tritt uns das Motiv hier in unverhohlener Absichtlichkeit entgegen.

Legen uns schon diese Beobachtungen nahe, in dem Schöpfer des
Werkes eine andere Künstler-Individualität als die des Praxiteles zu
vormuten — wenn auch die eines dem Meister sehr nahe stehenden

') Man vergl. auch hier Flasch a. a. O., p. I 104 PP.
 
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