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Eike <von Repgow>; Amira, Karl von [Hrsg.]
Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (Band 1) — Leipzig, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22098#0008
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ZUM GELEIT.

Den freundlichen Förderern ihrer gelehrten Arbeit bietet die Königliche
Kommission für Geschichte in den beifolgenden Blättern die erste Hälfte
einer Veröffentlichung dar, die zu den schönsten und folgenreichsten gehört,
die sie innerhalb des Kreises ihres Wirkens unternehmen kann.

Die wichtigsten Stoffe des alten deutschen Rechts, wie es zur Zeit
der Staufer in den meisten mittel- und niederdeutschen Gebieten galt, wurden
bekanntlich ums Jahr 1230 von Eike von Repgow (dem heutigen Reppichau
im Anhaltischen) in einer gemeinsamen Darstellung zusammengefasst: so
entstand der „Sachsenspiegel", ein Werk, das dann Jahrhunderte hindurch
für einen grossen Teil unseres Volkes massgebende Quelle des Rechtes
geblieben ist.

Aber nicht jedermann konnte in der Zeit, da dies Rechtsbuch von
einer für die deutsche Geschichte so unvergleichlichen Bedeutung entstand,
auch schon lesen und sich auf diese Weise aus eigener Kraft in den
geistigen Besitz seines Inhalts setzen: war doch den Entstehungsjahren des
Sachsenspiegels die Zeit nicht so fern, da ein deutscher Dichter sich des
Lesens als besonderer Kunst rühmen durfte und ein anderer deutscher
Dichter für seinen Helden der Zeit des Lernens nicht ohne herben Rück-
blick gedachte:

der buoche lere und ir getwanc
was stner sorgen anevanc.

Wie also den Unkundigen den Inhalt des Rechtsbuches gleichwohl klar
machen?

Hier bot sich den Menschen noch des hohen Mittelalters ein Weg dar,
auf den unser Zeitalter gegenüber, den logisch gepanzerten Satzungen eines
Rechtsbuches wohl schwerlich verfallen würde: die Illustration. Der ganze
Sachsenspiegel konnte noch Titel für Titel und Paragraph für Paragraph so
illustriert werden, dass es möglich war, an den Illustrationen einen grossen
Teil des Rechtsinhalts gleichsam abzulesen oder wenigstens aus der
einzelnen Illustration einen Schluss auf die besondere Materie des in sprach-
licher Formulierung beigefügten Rechtssatzes zu ziehen. War dies nun
der Grund für die Entstehung der Illustrationen zum Sachsenspiegel oder
liefen die Absichten des Illustrators allgemeiner auf die Befriedigung eines
Bedürfnisses hinaus, das Goethe mit den schönen Worten gekennzeichnet
hat: „Nicht allein der ungebildete, sondern auch der durchaus rein gebildete,
natürliche Mensch will dasjenige mit Augen sehen, was ihm durchs Ohr
zukömmt" — genug, wir sind im Besitze einer ausgiebigen, der Entstehungs-
zeit des litterarischen Denkmals selbst verdankten Illustration des Sachsen-
spiegels. Es ist ein ähnlich günstiges Schicksal, wie es so manchen

Heiligenlegenden und vielen biblischen Stoffen vornehmlich während des
früheren Mittelalters zuteil geworden ist: ein starker Trieb zur Anschaulich-
keit drängte zu ihrer Illustration, sei es in den Miniaturen einer Handschrift,
sei es in den jedermann zugänglichen Wandbildern der Gotteshäuser: und
der gemalte Cyklus erschloss zugleich den litterarisch Ungebildeten den
Inhalt des Dargestellten in seinen allgemeinsten und sinnenfälligsten Zügen.

Die Illustrationen zum Sachsenspiegel sind uns in vier Handschriften,
den kostbarsten Schätzen mit des deutschen Altertums, erhalten. Von diesen
Handschriften wird die eine zu Heidelberg, die andere zu Wolfenbüttel und
die dritte in Oldenburg aufbewahrt, während die vierte sich in der Königlichen
Bibliothek zu Dresden befindet. Da nun diese vierte vor den andern den
Vorzug der grösseren Vollständigkeit des illustrativen Teiles hat, so war es
eine der Ehrenpflichten der königlich sächsischen Kommission, dies Dresdener
Exemplar herauszugeben, doch so, dass zu seiner eingehenden Erklärung,
die in einem später folgenden Bande erscheinen wird, auch die übrigen
Handschriften sowie alles sonst noch verwandte Material in weitest gehender
Weise herangezogen werden.

Der Gewinn, der aus dieser Veröffentlichung hervorgehen wird, be-
wertet sich hoch nach den verschiedensten Seiten hin. Dass die Kostüm-
und Waffenkunde, dass die Kunstgeschichte, dass die Wirtschaftsgeschichte,
und dass vor allem die Rechtsgeschichte reiche Ergebnisse zu verzeichnen
haben werden, ist im allgemeinen klar, bedarf aber, um ganz und bis in
die Tiefe überschaut zu werden, einer Ausführung im einzeln, die hier nicht
gegeben werden kann.

Wohl aber ist es möglich, von zwei andern Gesichtspunkten allgemei-
nerer Art aus mit einigen Worten zu betonen, was die Veröffentlichung bietet.

Für jedermann ohne weiteres zu Tage tretend erhalten wir vor allem
ein anschauliches Bild der gesamten Kultur der sächsischen Heimat in der
Zeit des hohen Mittelalters. Denn es giebt kaum einen Gegenstand dieser
Kultur, der nicht in den Illustrationen zur Darstellung gelangte: von dem
Feldgerät und dem Flechtzaun des Bauern bis hinauf zur Lehnsfahne des
Fürsten und den Kronen, unter denen Papst und Kaiser schreiten, und von
der kümmerlichen Haltung des unterjochten Slawen bis zu dem stolzen
Sitz des deutschen Richters mit den zum Zeichen der Überlegung über
einander geschlagenen Beinen, und bis zu der beherrschenden Geste des
Königs, der die höchsten Lehen des Reiches mit eigener Hand verleiht.
Für welches Jahrhundert der sächsischen Vergangenheit ist es wohl mög-
lich, ein gleich vollständiges Bild in gleich systematischer Aufnahme bei-
zubringen?

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