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Eike <von Repgow>; Amira, Karl von [Hrsg.]
Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (Band 1) — Leipzig, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22098#0034
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Augen, Nase und Mund eingetragen sind. Die Ohren bleiben hinter den Henkers und anderer bewegter Männergestalten1) der älteren Kunst ent-
umrahmenden S-förmigen Haarlocken verborgen, die Farbe des Gesichts stammt auch ein Oewandmotiv, das bei ebensolchen Figuren in D (W) und
schlechterdings oder doch nahezu übergangen. Teilnahme am Vorgang O regelmässig wiederkehrt, die Aufschürzung des Rockes am Gürtel. Andere
verrät sich fast ausschliesslich in der Stellung der Punkte, welche die Gewandmotive, die vorzugsweise an Frauenmänteln in D (W) und O vor-
Augensterne angeben, und es scheint mehr auf unwillkürlichen Zügen der kommen und demnach wahrscheinlich schon X angehören, dürften teils
Hand als auf künstlerischer Absicht zu beruhen, wenn gelegentlich in D der Plastik, teils der Malerei der voraufgehenden Jahrzehnte entnommen
der Gesamtausdruck des Gesichts dem durch die Situation bewirkten Affekt sein. In D z. B. fallen entweder die beiden Flügel des um die Schultern
entspricht, wie etwa in Fol. 63b No. 4, 88b No. 4, 89b No. 3. Einmal gelegten Mantels über den Beinen der stehenden oder schreitenden Frau
streckt Jemand die Zunge, D Fol. 74a No. 1, aber nur weil der Text sagt, zusammen, oder der eine von beiden ist unter dem Arm aufgenommen2),
dass er ein Geschäft „mit Fingern und mit Zungen" abschliesse. Auf alter Tradition beruht ferner die Darstellung des Pferdes, das ausser

>,. , , . , . , , .. .. , dem Fall der Tjoste stets in Seitenansicht, im Trab und in hellen Farben

Korpergheder. Nicht minder summarisch werden, und zwar aus dem nämlichen „J, ^ . •

~ ... . , j,.. ... , ,. . , „ gefleckt vorgeführt wird. An technischen Reminiszenzen aus der alteren

Grund, die einzelnen Korperglieder abgethan, selbst wo diese in der Ge- & , s ,. , ,. . ,. . , „. ,

, .. , • , . , c- • u j r-v a u m- i Ma erei wäre nament ich die Behandlung eines stereotypen Standmotivs

barde thatig sind. An den Fingern sieht man weder Glieder noch Nagel. , ° , ,^ ■ x r- \ ■ , > ,

i a u An- u ■ uj. ■ u -u u u ui o i- • a- hervorzuheben, das in der Y-Gruppe erhalten ist. Sie entspricht durchaus

In der Handflache giebt, je nach ihrer Haltung, bloss eine Bogenlinie die ' , , T, , . , a> ,,

Grenze entweder des Ballens oder des Beugers vom kleinen Finger an. der von Kautzsch und Haseloff gegebenen Anatyse«). Von dem ,n

Freilich wäre hier anzumerken, dass auch viel sorgfältiger gezeichnete ä!terer Z«* hehebt™ W.derspruch zwischen Se.tenstellung gekreuzter Beine

d-u a v>;a •• c j. ■ t> a- ■ a wr l- ) und Vorderansicht des Oberkörpers findet sich in H Fol. 10b No. 5

Bilder und zwar Bilder grosseren Formates, wie z. B. die in der Welislaus-........1 „ . ,. _ ,, ,

Bibel, an der gleichen Vernachlässigung der Hände leiden. In den Sachsen- (Taf- XI 6) noch ein Überbleibsel. Be, allen diesen Entlehnungen ,st nun >^

spiegel-Bildern ist aber die Zeichnung des ganzen menschlichen Körpers fJeilich der Nachweis besümmter Baugsquelle;emaU^re;.Ccbl°dSe7sub^CthxJ

so schematisch, dass sie eine Eckigkeit der Bewegungen mit sich bringt, ^anz so be' e'ner ruPPe von 0 lven>' ie em ereiC er su Jf lv

die den Figuren etwas Marionettenhaftes giebt. Durchaus summarisch symbolischen Gebärden angehören, deren Verwendung aber auch von jeder

n - a ur -ui u a- d u At a /- ■■ a a wr ff f Handwerk ichkeit frei verlief. Nicht nur das Deuten auf blos gedachte

oewander. bleibt auch die Behandlung der Gewander und Waffen, wesswegen für , , _ , , ,. . _ , .

,s ... , , tjmj i i -t j.m , . • u Gegenstände, sondern auch das Deuten auf die eigene Person, das eigene

die Kostumkunde unsern Bildern trotz ihrer Menge doch nur ein be- s ' . , . . . , . . ...f

dingter Wert zukommt. Den Gürtel bezeichnet (bis auf W) nur ein Strich. °hr> das ei^ene Auge den eigenen Mund spielt schon in der alteren

Andere Einzelheiten an den Kleidern wie Säume, Besätze, Schnüre, Knöpfe, Psaltenllustration wie z B. im Alban,-Psalter (1119-114G)*) eine durchaus

c .... i •• • a t ± aa- r a- ii a- ana bge Ro e, wie in den Sachsenspiegel-Bildern. Ebendort beginnt auch

Spangen bleiben regelmassig unangedeutet, — Mangel die man allerdings s ' , , ..... . . ..

. • ? ,, • c , , . , , , • u c - u ■ r\ xvr schon um der Gebärden wi en die unverhaltnismassige Vergrosserung der
bei dem kleinen Format und der abwechselungsreichen Färbung in D, W „. , „ . , ,.

i ii • t- a i Hände. Ebendort end ich treffen wir schon die symbolische Gabel als

und H weniger empfindet. , \ . , . ., , , , , c om b j u

Werkzeug des Ausstossens aus einem Verbände an (oben S. 29). Bedenkt

Handwerklich- Das Summarische der Arbeit führte zu einer gewissen Handwerklich- man nun weiter; dass auch für die S. 22 besprochenen ikonographischen
keit, und zwar nicht erst in der Illumination, sondern schon in der Zeich- Typen die ergiebigsten Quellen gerade in Psalterien flössen, so dürfte man
nung, ja in der Komposition. Bestimmte Motive wurden der älteren Kunst sich schwerlich der Vermutung erwehren, der Zeichner von X habe vor-
einfach entlehnt. Sie und neuerfundene wurden innerhalb des Bilderkreises nehmlich aus einem Werk dieser Art, das so etwa wie der Albani-Psalter
selbst wiederholt. Über X freilich können wir uns in diesen Beziehungen auf die Wortillustration das Hauptgewicht legte, jene künstlerischen An-
nur schwer ein ausreichendes Urteil bilden, weil die ausserordentlich rohe regungen geholt, die er mit so unerschöpflicher Erfindungskraft weiter zu
Ausführung von H und die Unvollständigkeit des Vergleichungsmaterials spinnen wusste.

in H und O nur sehr wenige sichere Rückschlüsse gestatten. Immerhin . , , „. , , ■'. ... . ,

i ui f i a u ■ a u-uv u c u v u i u- u Bei der bisher versuchten Charakteristik war vorzugsweise von der Individualität

steht fest, dass bei den biblischen Szenen schon X mehrere monographische „, . , , , ,„ , . v j. o j rf„. „„„i,,,.,,

. , t . , , , c nn ocx , 61 . ustraton sch echthin oder doch nur von der Illustration in X die Rede. <*erf,nfe en

Anleihen aufgenommen hat (s. oben S. 22, 25), und es muss nur um so mehr ., , ., . , • . ^ i Handschriften.

, , , ö , , , , , a v- *\ v iu 4. • a- Aber schon in der Handschriften-Beschreibung und bei andern Gelegen-

ikonographischehervorgehoben werden, dass trotzdem der Kunstler von X selbst in dieser , , ,• , j

Eiffenwe^e r>;a ■ u au • u -i i • u v i ui heiten kam vor, dass die vier Codices picturati nicht nur sachlich, sondern

tigenwege. ßildergruppe sich Abweichungen vom ikonographischen Kanon erlaubte. , , ,' . . , . _ . ,v, . .... . , ,.

.„ \ c-i- u'un ca a t a uu -jfii auch technisch von einander abweichen. Bei W beschranken sich die

Mag er das ErlosungsbildM erfunden oder vorgefunden haben, ledenfalls , . , ,. . , , ... , , „ . ., ,v,.

, ,. , A , . , ^ , . , Unterschiede von der Vorlage D auf das Kostüm und das Colont. Wie

weit D selbst sich von Y und X entfernte, lässt sich bei der Beschaffenheit Insbesondere

von H zwar nicht genau ermessen. Immerhin können wir bestimmte Neue- von D-

war es ein ebenso ungewöhnlicher als tiefer Gedanke, den Gekreuzigten
vom Kreuze herab den in der Vorhölle Befindlichen die Hand reichen zu

lassen. Daneben verdient auch als derb-burlesker Zug bemerkt zu werden,

wie S. Bartholomaeus seine Haut an einem Stecken über der Schulter trägt2). rungen in es s e en. ausser er mar ei ung einer nie ganz geringe

, ,.. . , , , . , . , , ■ n f n T, Zah von Einzelszenen {Geneal. 381 f.) die gebrochenen Farbentone der

Profane An- Aber dafür giebt es auch wieder Anlehnungen im Profanen. Der Thronsitz , , .. n , , , , . „ ... ..

leihen. -x a is- • -u u u u i u i ir- r o^i\ a a ». i II umination und die dekorativere Behandlung der Initialen, im Kostüm die

mit dem Kissen, wie ihn H bewahrt hat (Oeneal. 341), und das stets , „ . „ . , • c . .,,

v c u'ff u~ a u i i i i i i- i a -u Verkürzung der Mannerrocke bis über das Knie hinauf, wofern sie nicht von

wannenartige Schiff gehören zu den bekanntesten Inventarstucken der alteren , . . « , ... , r> , , .

, . c . , . t ■ A f . i ni ti , ,3, vornehmen Personen getragen werden, den Schnitt der Bauerntracht, den
Malerei. Der Schnitter, der mehrmals in der gleichen Stellung vorkommt3), , . ■■ _■ , 1 •. 1 -n j
vielleicht auch der Arbeiter der den einen Fuss auf seinen Staaten setzt 4 Ersatz der schmal-quergestreiften Gewander durch breit-quergestreifte oder
gehen auf Muster zurück, die u. A. die ältere thüringisch-sächsische Schule durch sparte oder durch geteilt- oder einfarbige sowie die Abänderung
fn ihren Monatsbildern besass'). Die lahmen Leute mit Stelzfuss und verschiedener Abzeichen und symbolischer Farberi(oben S. 24 26 und Oeneal.
Krücke oder mit Handschemeln (oben S. 24) hatte schon das Echternacher 339 ^ m der Bewaffaung den Ubergang zur Kragen-Ha sberge und ihrer
Evangeliar so zusammengestellt«). Der Scharfrichter, der nach der Exekution Verbindung mit der Beckenhaube, den Ersatz des Nabels am Faustschild
das Schwert an seinem Rockflügel abwischt ^ ist ein alter Bekannter aus du/ch den Stachel (GW. 340), ,n den Geraten die Umgestaltung des
, .... 1 -s\ r>>- .l • l a c u 1 1 1 u u Thronsitzes (a. a. O. 341), in der Architektur die Einfuhrung der S. 10 er-
der Martynenmalereis). Dieses Abwischen des Schwertes hat aber wahr- , v .. " ,. , ..

wähnten buden- oder thronartigen Innenraume, in der Komposition ausser

scheinlich der Zeichner von X zu einem rechtssymbolischen Akt fortgebildet,
den er in einem undeutlichen Exemplar jenes Typus zu erkennen glaubte,
so dass ihm ein Tuch in der Hand eines Schwertschwingers zum Wahr-
zeichen der Straffreiheit von Leibesverletzungen wurde. Dem Kostüm des

verschiedenen Umarbeitungen von Szenen die zwar sachlich verfehlte aber
künstlerisch bemerkenswerte Ausstossung mehrköpfiger und mehrarmiger

x) Siehe die Martyrien bei Haseloff a. a. O. Taf. XVII 31, XVIII 38, ferner die
») D Fol. 42b No. 2, H Fol. 18b No. 2 (Taf. XX 7), O Fol. 74a No. 3. Schergenfiguren auf den Wandbildern im Dom zu Braunschweig; übrigens wegen der

2) D Fol. 33 a No. 4, H Fol. 9 a No. 9 (Taf. IX 4), O Fol. 58 b No. 1 (Lübben S. 59). weitern Fortpflanzung des Motivs die Tafeln 9, 10, 15 b, 19 aus der Welislaw-Bibel bei

Wocel in den Abhandlungen der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 1870, die Taf.

3) D Fol. 29 a No. 3, 41 b No. 3, H Fol. 9 a No. 3, 17 b No. 3 (Taf. IX 3, XIX 8), 4Q> 62> 68> 12g fa der Kraus>schen Ausgabe der Heidelberger Liederhandschrift, die Armen-
O Fol. 58b No. 1. bj^e, 'von's FIorian herausgegeben von Camesina Taf. V, VII, IX, XIV, XXII, XXV,

4) D Fol. 49 a No. 6, 55 b No. 3, H Fol. 29 b No. 3 (Taf. XXXII 5). XXVII, XXXI.

5) Vergl. Haseloff Thüringisch-Sächsische Malerschule1af. I 4, II 6, XII 31, XVII 35 2) Letzteres Motiv in Clm. 4660 (ca. 1225) Fol. 77 b, Cgm. 51 Fol 10a und oft im
nebst S. 355 daselbst. clm- 3900 sowie in den Liederhandschriften zu Stuttgart und Heidelberg, in der Armen-
bibel zu Constanz. Beide Motive in der Welislaw-Bibel (siehe die Tafeln bei Wocel

ß) Vergl. Otte Handbuch I 477. Dieselbe Zusammenstellung in der Heidelberger a a Q, und jn der Constanzer Armenbibel.

Liederhandschrift Fol. 113 a (Taf. 39 bei Kraus). „ m j e- ,„ u , rr _ _„„,

v ; 3) Kautzsch Einleitende Erörterungen 30. Haseloff a. a. O. 292f.

<) D Fol. 37b No. 3, 38 a No. 2 = H Fol. 13b No. 2, 14a No. 2 (Taf. XV 4, 8). 4) Ad. Goldschmidt Der Albani-Psalter, Fig. 18, 25-29, 37, Taf. VI, ferner daselbst

) Vergl. aber insbesondere Haseloff Taf. XVII 33. die Beschreibung der Initialen No. 21, 46, 47, 50, 58, 112, 134, 137, 162, 142ff. passim.

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