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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0023
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schiedener Art bei einer und der nämlichen Person vor, wenn ihre Lage gegenüber andern
Personen wiederkehrt, oder wir beobachten bei sich wiederholenden Situationen, daß eine
solche Ausdrucksbewegung bald stattfindet, bald ganz unterbleibt. Beispiele bieten gerade
diejenigen Figuren, bei denen eine gewisse Regelmäßigkeit des Begleitgestus vor Allem
angezeigt gewesen wäre, wenn in Bezug auf ihn die Künstler sachlichen Erwägungen
hätten folgen wollen, — als da sind der Richter, der Schöffe, der Dingmann, der Kläger,
der Beklagte, der Zeuge, der Empfänger eines Gelöbnisses oder einer Zahlung. Aus dem-
selben Grund begegnen uns anderseits, wie schon S. 178 hervorgehoben, oft genug Einzel-
figuren, die mit beiden Händen gestikulieren, obgleich sie uns in keinerlei Tätigkeit oder
seelischer Erregung vorgestellt werden.

Gewisse später zu besprechende Ausnahmen von der hier aufgestellten Regel werden
wir allerdings zulassen müssen: vom Parallelismus im Erheben beider Hände bei Betenden
und Bittenden wissen wir, daß er einem Brauch des täglichen Lebens einmal entsprach.
Der Doppelgebärde in bestimmten Fällen der Klage und von richterlichen Handlungen
liegt, wie sich zeigen wird, wahrscheinlich eine Rechtsübung zu Grunde. In solchen Fällen
war auch die Körperhaltung nicht gleichgiltig. Sonst dagegen bestimmt auch über sie
die Willkür des Künstlers, sei es, daß er sie durch äußeren Anstoß motiviert, wie z. B. bei
Menschen, die fremden Angriffen auszuweichen trachten (Nachweise oben S. 179 N. 1), oder
daß er wieder subjektiv-symbolische Absichten verfolgt, wie mit dem Zu- oder Abwenden
des Körpers im Verhältnis zu einer andern Person, sei es endlich, daß er sich von rein
kompositionellen Rücksichten oder auch von traditioneller Manier leiten läßt wie bei dem
starken Vor- oder Zurückbeugen der Oberleiber.

Demnach haben wir sowohl die wirklichen oder vermeintlichen Begleitgebärden, wie
die Körperhaltung außer Acht zu lassen, indem wir nunmehr die Bedeutung des sog. Rede-
gestus zu ermitteln trachten. Auch die Frage, in welcher der beiden Hände der Haupt-
gestus vor sich geht, berührt uns nach dem S. 175 f. Erörterten hier nicht weiter.

Eine Rückschau auf die Fälle, wo der Redegestus Hauptgebärde ist, belehrt uns vor
Allem darüber, daß er in der Sachsenspiegel-Dlustration seinen Namen nur sehr unzu-
reichend rechtfertigt. Wohl ist unter den mit ihm ausgestatteten Personen die Zahl
derer nicht gering, die uns als redend oder doch in einer Situation vorgestellt werden, in
der sie reden könnten. Aber nicht weniger beachtenswert ist 'die Menge derjenigen, die
mit der nämlichen Gebärde auftreten, ohne irgend ein Sprechen damit begleiten zu können,
— man müßte denn ein Selbstgespräch unterstellen wollen. Abermals verweise ich da
auf die bloßen Existenzbilder, Figuren, die der Künstler lediglich zur Veranschaulichung
des Begriffs einer Person hinzeichnet, weil der Test zufällig ihrer erwähnt, z. B. Abraham,
die erbunfahigen oder in einem bestimmten Fall vom Erbgang ausgeschlossenen Leute,
ein paar Mal aber auch die erbenden (D 8 b Nr. 2, 27 a Nr. 2), ferner den Vormund in
0 25 a Nr. 2, das Putativkind (D 40 a Nr. 3), den wegreitenden Landrichter und den daheim
bleibenden Fronboten in 0 38 a Nr. 5, den Schenken und den Truchsessen 78 a Nr. 1, die
Giftmischerin D 25 h Nr. 2, die Repräsentanten der deutschen Völker 45 b Nr. 2. Dazu
kommen aber noch viele Gestalten, deren Gebärde sie als Sprechende scheinen läßt,
während der Verlauf des geschilderten Vorgangs jedes Zwiegespräch für sie ausschließt.
Der .Gesatzte1, über den Andere schwören, hat nicht selbst zu sprechen, ebensowenig der
Bauermeister, während man Fundgegenstände vor ihm aufbietet, ein Zeuge oder ein Auf-
 
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