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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0024
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185

seher, während er seine Beobachtungen macht, der Herr, während ihm seine Untertanen
huldigen, eine Prozeßpartei, die der Gegner zum Kampf anspricht, Einer, den der Fron-
bote in den Besitz eines Grundstücks setzt, die Frau, der ihr Lehen verteilt wird.1) Für
Manche wäre Sprechen geradezu das Gegenteil desjenigen Benehmens, worin sie dargestellt
werden, so für den Mann, der in D 81 a Nr. 1 die Ansprache an sein Lehen verwirkt,
weil er das ,Ausziehen' versäumt, oder für den Hirten, der in 31 a Nr. 2 sich von seinem
Vieh abwendet, d. h. nicht dabei ist, während es zu Schaden geht und gepfändet wird.
Augenscheinlich stehen die Illustratoren im Begriff, das Motiv abzunützen. Es wird
ihnen zu einem schematischen Mittel, wodurch sie steife Gestalten beleben.
Mag sein, daß diese Tendenz den Verfertiger von D in stärkerem Maße beherrschte als
den von X oder Y oder N. Aber gewiß ist anderseits, daß sie überhaupt nicht erst in
der Sachsenspiegel-Illustration auftritt, sondern in ihren Anfängen um Jahrhunderte weiter
zurückreicht. Schon in der antiken, der altchristlichen, der frühmittelalterlichen Kunst,
wo die Gebärde des Handaufhebens ausgiebige Verwendung gefunden hat, konnte sie nicht
bloß das Heischen, sondern auch das Zollen von Aufmerksamkeit, also nicht bloß Sprechen,
Anrufen, Beten, sondern auch Zuhören und Beobachten bezeichnen. Es genügt, hier auf
typische Beispiele hinzuweisen, worin sich altchristliche und mittelbar antike Traditionen
in. der mittelalterlichen Kunst fortpflanzen. Gespannte Aufmerksamkeit, Staunen, drückt
sich aus, wenn Maria oder die Hirten oder die Frauen am Grabe Jesu vor dem sie
anredenden Engel, wenn ferner Zuschauer bei den Wundern Jesu oder bei seiner Himmel-
fahrt, Apostel beim Abendmahl oder bei der Ausgießung des hl. Geistes, Evangelisten
bei der Inspiration eine Hand erheben. Aber auch Trauer kann sich so äußern, z, B.
in Maria oder Johannes bei Christi Kreuzestod. Der Affekt wird in solchen Fällen oft
durch einen Begleitgestus der andern Hand betont, ebenso wie wenn die Aufmerksamkeit
sich zur Ergebenheit und Verehrung steigert. Denn im Aufheben nur der einen Hand
können sich schon die geringsten Grade von Spannung eines Zuschauers oder Hörers
äußern, wie z. B. von Jüngern oder Heiligen, die den redenden Herrn umgeben,2)
von Zeugen irgend einer biblischen Begebenheit.3) Von derartigen Mustern aus wurde
die Gebärde des Handaufhebens auf alle möglichen Figuren der alttestamentlichen
Geschichte, der christlichen Legende, der profanen Historien übertragen, sobald irgend
ein Grad passiver Teilnahme an ihnen zum Ausdruck kommen sollte, auf den Schwert-
oder Stabträger neben oder hinter einem thronenden Herrscher,4) Hofleute in seiner

*} Unbeachtet lasse ich hier solche Figuren, bei denen man den Redegestua allenfalls auf einen
andern als den geschilderten Hauptvorgang beziehen kann, wie z. B. bei dem Empfänger eines Eides, einer
Vorladung, eines Zahlungsbefehls, dem Erbringer eines Gottesurteils, dem Gepfändeten, dem Verhafteten.

2) Probussarkophag (6. Jahrb..) bei Garrucci Storiä deW arte crist. tav. 325; ferner ebenda 323,4,
327,2, 331,3, 341,2,3. — Clm. 4453 (c. 1000), fol. 34b, 60b {Photogr. v. Teufel Nr. 1046, 1056). —
Clm. 4452 (c. 1012) hei Vöge Malerschule 123. — Clm. 15903 (c. 1200), fol. 78b, 90a, 91b.

8) Beispiele: aus dem Aachener Evangeliar (10. Jahrh.), her. v. St. Beisael, Taf.XXII, XXXIII, —
aus dem Cod. Egberti, her. v. Kraus, Taf. XXXVII, XLII; — Clm. 4453 fol. 157b (Photogr. v. Teufel
Nr. 1044). — Clm. 23338 (11. Jahrh.) fol. 184b. — Psalter d. hl. Elisabeth zu Cividale (gegen 1217) p. 262
bei Haseloff T/iür.-sächs. Malerschule Taf. XXVII. — Wandgemälde im Dom zu Braunschweig (c. 1224)
bei Janitscheck 154/55.

4) Z. B. Clm. 4453 fol. 24a (Photogr. v. Teufel Nr. 1039, farbig bei Stacke Deut. Gesch. I 291/95),
— Cod. Cavensis Nr. $2 (11. Jahrh.) fol. 15 (her. in Cod. dipl. Cav. III 36), — Hortus deliciarum bei
 
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