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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0030
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zu dem jüngeren Redegestus (unten 2) erhoben ist. Auch hier hat infolge eines Miß-
verständnisses der Vorlage eine Übertragung durch den Illustrator stattgefunden.

Es steht also fest, daß in nicht wenigen Bildergruppen die Handerhebung
keinem Gebrauch des Rechtslebens entspricht. Und zwar gilt dies nicht allein
von Einzelnfiguren und von solchen Szenen, wo es sich nur um den Ausdruck einer rein
passiven Teilnahme handeln könnte. Damit scheinen nun aber auch verdächtigt alle
jene andern Bilder, die den gleichen äußeren Vorgang schildern, jedoch den Gedanken an
eine Rechtsformalität nahe legen. Dennoch wäre es voreilig, sie vom rechtsarchäologischen
Standpunkt aus in Bausch und Bogen zu verwerfen. Schon die oben erörterte Kunst-
tradition hätte sich schwerlich so lange fortgesetzt und ausgebreitet, wenn nicht eine so
einfache Ausdrucksbewegung wie der sog. Redegestus im wirklichen Leben gang und gäbe
gewesen wäre, — wie er es ja heute noch ist. Von hier aus können wir weiter schließen:
die Illustratoren des Sachsenspiegels würden derselben Gebärde schwerlich eine so unge-
messene Anwendung als ,Motiv' gegeben haben, wenn sie nicht wenigstens in bestimmten
Fällen auch dem Formalismus des lebendigen Rechts angehört hätte. Anhalts-
punkte hiefür dürften sich vielleicht in unsern Bilderhss. selbst finden. Bevor wir nach
ihnen suchen, empfiehlt es sich jedoch, noch einen zweiten ,Redegestus' kennen zu lernen.

IL
Redegebärden (Fortsetzung).

2. Eine jüngere Gebärde gleichen Sinnes wie Kr. 1, die jedoch den Hss. der
Y-Gruppe allein eigentümlich ist. Von Nr. 1 unterscheidet sie sich wesentlich nur dadurch,
daß nicht die flache, sondern die hohle Hand erhoben wird. Die Normalform, wie sie
in H auftritt, zeigt dabei sämtliche Finger mäßig gekrümmt (Fig. 2 a). In D dagegen
bleibt der Daumen und sehr oft auch der Zeigefinger gestreckt (Fig. 2 b, c), so daß Ver-
wechselung mit einem Zeigegestus möglich wird. In der Regel kehrt sich die Innenseite
der Hand nach oben. Die Achsen von Hand und Unterarm liegen in H stets in einer
Linie, wogegen in D regelmäßig bei steiler Haltung des Unterarms ein mehr oder weniger
scharfer Winkel am Handgelenk entsteht. Der Oberarm verharrt in Ruhelage, während
sich der Unterarm, und zwar in D sehr steil, aufrichtet.

Varianten von diesen Normalformen ergeben sich durch abweichende Haltung teils
des einen oder andern Fingers, was öfters nur auf zeichnerischem Ungeschick beruht, teils,
wie bei Nr. 1, des Ober- oder Unterarms, in D endlich auch durch abweichende Stellung
der Hand zum Unterarm (in einer und derselben Achse, Fig. 2 d). Bezüglich anomaler
Fingerstellung mag hier bloß bemerkt werden, daß je einmal in D (3 b Nr. 1 Fig. 2e)
und in H (18 b Nr. 4 Taf. XX 10) dicht am Zeigefinger liegend auch der Mittelfinger
ausgestreckt wird.

Tritt die linke Hand für die rechte ein, so sind die Gründe dafür analog wie bei
Nr. 1, und analog verhält es sich auch mit den Begleitgebärden. Oft unterbleibt eine
solche ganz, weil eine Hand dazu nicht verfügbar ist, oder die verfügbare bleibt in Ruhelage.
Verläßt sie diese, so geschieht es einige Mal zum Zweck eines Befehls- oder Ablehnungs-,
besonders oft aber zum Zweck eines Zeigegestus der oben S. ISO ff. besprochenen subjektiv-

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