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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0035
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die unter Verdoppelung des Redegestus vorzubringen waren, können wir an solche denken,
die zugleich eine Bitte an den Richter oder an den Kläger enthielten, wie z. B. die wegen
unabsichtlicher Tödtung, wobei der Antworter um Gnade bitten mußte.1) Übertrugen aber
die Illustratoren den außerordentlicherweise verstärkten Redegestus auf gewöhnliche Partei-
vorträge, so werden wir im Hinblick auf das über den Vorsprecher Gesagte den Schluß
ziehen dürfen, daß in diesen gewöhnlichen Fällen wenigstens der einfache Redegestus
erforderlich war. In dieser Hinsicht nun verdient doch das Bild in W 34 b Nr. 12) gar
sehr beachtet zu werden, wo dem Antworter, der mit zwei Gehilfen die Inzucht seines
Rosses beschwört, eigens zum Zweck des Redegestus noch eine dritte Hand gegeben ist.
Der Zeichner muß also diese Handbewegung für schlechterdings erforderlich gehalten haben.
Die Ökonomie des altdeutschen Rechtsformalismus aber macht unsere Annahme durchaus
verständlich. Mußten außerprosessuale Geschäfte der Regel nach ebenso mit der Hand
wie mit dem Mund abgeschlossen werden und zwar (ursprünglich) die Geberde genau so
lang dauern wie die Rede, so würde man es begreifen, wenn derselbe Rechtssatz auch
die prozessualen Geschäfte beherrschte und also bei denjenigen Parteireden, wo Hand-
reichung oder Fingeraufstrecken ausgeschlossen, Handerhebung erforderlich war. Der
Gedanke, ein Parteigeschäft müsse wie an bestimmten Worten hörbar, so an bestimmten
Werken sichtbar sein, wäre folgerichtig durchgeführt.

Nicht gleich starke Gründe sprechen für eine analoge Regel bei Geschäften des
Richters, und es läßt sich darum auch nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit abgrenzen,
wieweit der auf den Bildern ihm zugeschriebene Redegestus den Ansprüchen des Rechts-
formalismus gemäß war. Fest steht jedoch, daß seit alten Zeiten die Ausübung der richter-
lichen Befehlsgewalt von Gebärden begleitet war. Die missio in banmtm hatte der Richter,
wenn er einen Stab in der Hand hielt, per fusiis elevationem vorzunehmen.3) War die Hand
leer, so wird sie wol darum noch nicht ruhig geblieben sein. Von Grund aus würde sich
nun allerdings für derartige Handlungen des Friedensbewahrers mehr der Befehlsgestus
(unten Nr. 6) eignen, falls es überhaupt einen solchen gab; der Redegestus würde nur
passen, wo er erlaubt oder warnt. Dennoch läßt sich die Vermutung begründen, daß
für befehlendes Fingerstreeken die schlichte Handerhebung wenigstens in gewissen Fällen
eintreten durfte. Auffallen muß schon die feierliehe Handbewegung nach Typus 1, womit
sich dreimal in 0 70 a Nr. 2, 72 a Nr. 2, 86 a Nr. 4 der König als Richter vorstellt.
Gerade so führt D 85 b Nr. 5 den richtenden Grafen vor, wo der Satz illustriert wird, daß
ein und dasselbe Gericht nicht zwei Leute zu Lehen haben können. Er erhebt die flache
rechte Hand, während er mit der linken hinauf nach dem vorausgehenden Bilde deutet,
wo er belehnt wird. In D 46 b Nr. 1 ,wirkt' der Richter dem Fronboten seinen Frieden,
indem er den rechten Arm stark vorstreckt und die Hand erhebt, während seine Linke

1) Richtsteig Landr. 44 § 2. Blume v. Magdeburg I 124. — Nur beiläufig mag erwähnt sein, daß
die Bilder der Belialhs. zu Wiesbaden (Landesbibl, Nr. 66. 15. Jahrb..) eine bittende Prozeßpartei stets
beide Hände erheben (zuweilen falten) lassen, fol. 28a, 32b, 81a.

2) Ergänzungstafel 1 hinter der Ausgabe der Dresdener Bilderhs.

3) J. Ficker Forschungen zur Seichs- u. Bechtsgeschiehte Italiens IV Nr. 2 (a. 911}. Gleichbedeutend
ist per fuste{m) ebenda Nr. 47 (a. 1017), III S. 33, 35. Die vielen Urkunden, die W. Sickel Zur Gesch.
des Bannes 27—41 gesammelt hat, beschreiben zwar keine derartige Handlung; aber in Nr. 74 (a. 1298),
75 (a. 1299) kommt doch vor: banno regio stabilere cum solemnitatibus debitis et consuetis.
 
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