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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0049
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allein eigen, deutet der gefangene Dieb mit der flachen Hand auf den Mann zurück, den
er als Gewähren benennen möchte. Wie der Nachmann auf seinen Gewähren, so deutet
in D22b Nr. 1, 0 39a Nr. 2 der Bürgensteiler auf den Bürgen mit dem Finger.1)
Aber um diesen Fingerzeig analog dem vorigen zu beurteilen, würden wir nur in der
Parallele zwischen ,Bürgenzug' und ,Gewährenzug', dem Vorstellen des Bürgen und dem Vor-
stellen des Gewähren einen Anhalt finden,2) und in D 39 a Nr. 1, H 15 a Nr. 1 (Taf. XVI 9)
ist der Ritus des Bürgenstellens kein Zeigen, sondern ein Hinschieben.

Ein Stück des Prozeßformalismus könnte den Illustratoren vorschweben, wo sie eine
Prozeßpartei oder einen Parteivertreter mit dem Finger auf den Gegner zeigen lassen.
-wie in D 38b Nr. 1, 40b Nr. 1, 2, 42b Nr. 1, 44b Nr. 1, 69a Nr. 4, 71 b Nr. 1, 2,
72a Nr. 5, 84a Nr. 4, H 14b Nr. 1, 16b Nr. 1, 18b Nr. 1, 20b Nr. 2, 2b Nr. 6
(Taf. XVI 4, XVIII 5, XX 6, XXII 10, II 6), auch D 19a Nr. 2 (= 0 32b Nr. 3) u. dgl. m.
Es gab Fälle, wo eine Partei den Gegner nicht mit seinem Namen, sondern nur mit dem
Demonstrativpronomen bezeichnen konnte oder zu bezeichnen brauchte.3) Daß dann das
hinweisende Wort nicht von einer hinweisenden Gebärde begleitet worden wäre, läßt sich
schwer denken. Vgl. aber oben S. 205 f.

In D 19 a Nr. 2, O 33 a Nr. 2 illustriert der Fingerzeig das vom Test ausdrücklich
dem Kläger auferlegte ,Weisen' der Wunde, die ihm der Beklagte zugefügt hat.4)
Darnach beurteilt sich vielleicht auch die Figur des bärtigen Mannes, der in O 24 b Nr. 1
seinen entblößten rechten Arm aufstreckt und mit dem linken Zeigefinger auf die Haare
unter seiner Achsel deutet. Er ,weist' die Merkmale nach, woran man nach dem Text
(I 42 § 1) seine Mündigkeit erkennt. Aber zu Ssp. I 68 § 2 und HI 5 § 5 ist das betvisen
durch ein bloßes Vorzeigen veranschaulicht. Bei der ersten Stelle weist in D 21 a Nr. 2
nur einer der Geschlagenen auf seine Wange, während ein anderer seine verletzte Hand
vorstreckt; ähnlich in O 36 b Nr. 2, wo noch ein dritter seinen Mantel geöffnet hat, um
die Beulen an seinem Leib sehen zu lassen. Bei der zweiten Stelle besteht das betvisen
eines gefallenen Tieres nach D 37 a Nr. 5, H 13a Nr. 5 (Taf. XV 1) im Vorweisen seiner
Haut über einem Stock, nach O 65 b Nr. 1 im Vorweisen der Leiche. Demnach hat schon
der Zeichner von X nicht streng an einer und derselben Form der sogenannten ,leiblichen
Beweisung' festgehalten. Allerdings wäre auch zu bedenken, daß sich das Formbedürfnis
nicht stets mit gleicher Stärke geltend zu machen brauchte. Beim ,Beweisen' von Wunden
z. B. mußte man eher den Zeigefinger zu Hilfe nehmen als beim ,Beweisen' eines ganzen
Körperteiles oder einer beweglichen Sache, schon weil von der Zahl der Wunden die Zahl
der möglichen Beklagten abhing (Ssp. HI 46 § 2).

Wenn in O 37 a Nr. 2 (Gegensinn) der Gerichtsbote, der den Kläger in den Besitz
des erstrittenen Hauses setzt, mit dem rechten Zeigefinger auf dieses deutet, so entspricht
dies dem Text (Landr. III 70 § 1); denn er soll ihn inmsen.

*) In O 66b Nr. 2 (zu Ssp. III 9 § 4) scheint er mit der flachen Hand auf den vor 'ihm stehenden
Bürgen zu weisen.

2) Daa Stellen eines Prozeßbürgen wie in DO a. a. 0. betrifft auch eine Miniatur in der Berliner
Beauroanoir-Hs. (zu e. 43 des plegeries). Dort aber zeigt der Steller nicht auf seinen Bürgen, sondern er
hebt beide Hände empor.

3) Formulare in der Glosse zu Ssp. I 62 § 5, Freiberg. Stadtr. I 22, 36. "Vgl. auch die Fälle ebenda
VII 3, XIX 6, XX 3, XXIII 3, und die Formel des Vorsprechers XXXI 22.

*) Eine ähnliche Darstellung in der fraiszös. Digestenhs. Clm. 14022 zu L. IX Si quadrupes.
 
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