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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0055
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216

Wie weit der Befehlsgestus in der Symbolik des Rechts eine Rolle gespielt hat, läßt
sich kaum bestimmen, weil es an allen festen Anhaltspunkten gebricht. Wohl wissen wir
teils aus dem Ssp. selbst, teils aus anderen literarischen Quellen, daß beim Verfesten, beim
Aufheben einer Verfestung und bei Gelöbnissen das Aufstrecken eines oder zweier Finger
zu den Geschäftsformen gehörte (s. unten 217, 218). Allein gerade die Bilder zum Ssp. werden
uns alsbald (unter Nr. 7) darüber belehren, wie sich dieses Pingerstrecken von dem beim
Befehlsgestus unterschied. Denken ließe sich nun freilich an ein späteres Eintreten der
einen für die andere Gebärde. In jenen Fällen jedoch würde diese Annahme nicht mehr
für sich haben, als die einer willkürlichen oder mißverständlichen Substitution, etwa der
allgemeiner bekannten für die minder geläufige Handbewegung, durch die Zeichner. Nach
R. Schröder1) wäre ein Relief der Marcussäule heranzuziehen, das eine Zusammenkunft
von zwei Barbaren mit dem Kaiser in dessen Lager darstellt. Der zunächst vor dem Kaiser
stehende Ankömmling erhebt den rechten Unterarm und die Hand in seitlicher Haltung, indem
er Zeige- und Mittelfinger ausstreckt und die übrigen Finger einkrümmt. Dies soll ein
germanisches Treugelöbnis darstellen, wofür als Zeugnisse die Ssp.-Bilder angerufen werden.
Daß der sicher nachweisbare Gelöbnisgestus in den Ssp.-Bildern ganz anders aussieht,
wurde soeben hervorgehoben. Aber auch den ,Befehlsgestus' derselben Bilder können wir
mit der Gebärde des Barbaren auf dem Relief nicht gleich setzen. Nur ausnahmsweise,
nur in 0 und vielleicht nur unter dem Einfluß einer Reminiszenz an den alten sog. ,Segens'-,
d. h. einen Redegestus (oben 202) kommt der Befehlsgestus mit zwei ausgestrekten Fingern
vor. Auch die seitliche Haltung der Hand des Barbaren stimmt nicht dazu. Außerdem
ist es aber überhaupt höchst fraglich, ob das Relief sich wirklich auf eine Rechtshandlung
bezieht. Denn mindestens ebenso gut wie eine rechtlich relevante Erklärung kann die
Gebärde des Barbaren auch einen Gruß ausdrücken, womit er dem Kaiser naht, da sie mit
dem in der nach klassischen Kunst typischen Redegestus übereinstimmt.2)

Etwas anders beantwortet sich unsere Frage in einigen Fällen, wo nicht einmal
literarische Andeutungen vorliegen. Es könnte eine Zeit gegeben haben, wo der Richter
Befehle, wenigstens seine Öffentlichen Dienstbefehle, mit dem Befehlsgestus zu begleiten
hatte. Dafür würde jener Richtertypus sprechen, dessen zähe Ausdauer durch die ganze
Kunst seit dem Frühmittelalter doch auffällt. Wenn ferner die gleiche Gebärde bei Urteilern
und Wählern begegnet, so könnte, wie S. 199, 200 gezeigt, auch dies insoweit der Symbolik
des Rechts entsprochen haben, als es sich um die Gebärde nicht beim Folgen, sondern
beim eigentlichen Finden des Urteils, beim Erteilen des Kürspruchs handelte.

7. Die Gelöbnisgebärde. Sie unterscheidet sich von der vorigen im Wesentlichen
nur dadurch, daß die Handfläche einwärts gekehrt ist (Fig. 7 a, b). Eine (übrigens seltene)
Variante kann sich aus einer schrägen Handhaltung ergeben (Fig. 7 c). Bei unbeholfener
Zeichnung wie in H kann unsere Nr. 7 zum Verwechseln ähnlich der Nr. 2 oder auch der
Nr. 5 ausfallen. Eine Variante, wobei neben dem Zeigefinger auch der Mittelfinger auf-
gestreckt wird, scheint nicht vorzukommen.

Gelöbnisgebärde nenne ich diesen Gestus, weil er gewöhnlieh bei Personen vorkommt,
die ein Gelöbnis ablegen D 68b Nr. 1, 3, 72 a Nr. 3, 74b Nr. 4, insbesondere beim Ver-

i) Neue Heidelb. Jahrbücher VII (1898) 3 ff.
2) Sittl Gebärden 286 Note 1.
 
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