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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0064
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225

Hand hat Vöge schon in der früh mittelalterlichen Malerei nachgewiesen.1) Auch dort
scheint es zum Ausdruck des Zuwartens, dann sowohl des Erstaunens und der daraus ent-
springenden Unschlüssigkeit, aber auch der Verlegenheit,2) zu dienen. In der Berliner
Eneidt-Hs. (Ms. germ. 282) nähert es sich hinsichtlich der Bedeutung noch mehr dem Warte-
gestus der Ssp.-Illustration.3) Mit diesem selbst dem Sinne nach übereinstimmend erscheint
es auf den Wandgemälden im Dom zu Braunsohweig. Vermutlich folgten also die Ssp.-
Illustratoren auch hier Mustern, die von älteren Kunstgenossen aufgestellt waren.4) Nicht
ausgeschlossen wäre damit, daß sie bei der weiteren Bedeutungsentwicklung noch andern
Anregungen nachgaben. Der Sinn des Gewährens wenigstens kam derselben Gestikulation
auch in der Zeichensprache der Cisterzienser zu: Pro signo annuendi leva manum moderate
et move non inversam, sed ut exterior superficies sit siirsum.*)

Trotzdem kann von realer Bedeutung des Wartegestus im rechtlichen Verkehr oder
im täglichen Leben nach den Ssp.-Büdern keine Rede sein. Wo es nicht gilt, sich mit-
zuteilen, bedarf Nichtstun, bloßes Leiden-, Dulden-, Gehorsamen müssen im Leben keiner
Ausdrueksbewegung. Nur im Bilde kann sie nicht entbehrt werden, weil sie hier das
einzige Merkmal der Situation ist.

12. Die Schutzgebärde. Man hält die offene Hand mit abwärts gekehrter Innen-
fläche über das Haupt eines Andern, so vor allem in D 67 a Nr. 3 der Vormund über
seine beiden Mündel, aber auf der nämlichen Kolumne Nr. 1 auch der Lehenherr als
Lehenvormund über seinen minderjährigen Vassalien, dann 7b Nr. 2 (links) der Vater
über seine Kinder, die er nach der Mutter Tod ,in Vormundschaft hält'. Die ausge-
breitete Hand ist die schirmende Hand, die Metapher zunächst für den Begriff derjenigen
Aufgabe, die einem Vormund obliegt. In D 89 a Nr. 4 hält der zur Vormundschaft mit
einer erwachsenen Frau gemeinschaftlich belehnte Träger, während er zum Zeichen seiner
Gewere mit der rechten Hand die auf dem Gut wachsenden Halme festhält, die linke
Hand zwar nicht über das Haupt, doch über die Schulter der Frau, — eine unwesentliche
Abweichung von der Normalform der Gebärde. Wahrscheinlich haben wir auch an der
ßichtergestalt in 0 24a Nr. 1 (bei Lübben 26/27) die leere von den beiden linken
Händen für eine solche schützende Hand zu nehmen, da nach der zugehörigen Teststelle
der Richter Vormund der vor ihm stehenden Frauen sein soll. In übertragenem und ver-
allgemeinertem Sinne wird aber den Ssp.-Künstlern jene schirmende Hand zum Symbol
eines Verhältnisses, das nicht mehr unter den rechtlichen Begriff der munt fällt, nämlich
des mütterlichen Schutzes und der Mutterschaft überhaupt. 15 b Nr. 1, 2 streckt die
Mutter, die uneheliche wie die eheliche, über ihre Kinder ihre Hand aus. Im Weg
weiterer Ableitung drückt die übergehaltene Hand auch die bloß natürlichen Beziehungen
des unehelichen Vaters aus: hält ein Geistlicher seine Hand über ein Kind, so tut er dies
zu dem Zeichen, daß das Kind sein Kind und also ein uneheliches ist, 14b Nr. 4, 15a Nr. 4
(s. oben S. 176 Note 2).

1) Eine deut. Malerschule 289. Nichts damit zu schaffen hat der von Sittl Gebärden 287 Note 5
erwähnte antike Redegestus.

2) S. z.B. den Petrus in der Verleugnimgsszene in CIm.4453 fol. 247a (Photogr. v. Teufel PL 1070).
8) Fr. Kugler Kleine Schriften I 50.

*) In Genealogie 339 oben habe ich diese Beziehungen noch nicht erkannt.
5) Du Cange Glossarium s. v. Signum 9.
 
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