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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0097
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258

des Reliquiars. In 0 aber erkennt man an Stellen, wo das Dach sattelförmig, genauer, wie
die Schwurfinger auf diesem der Länge nach aufliegen. S. z. B. 0 15 a (bei Lübben 18/19);
— ähnlich und teilweise noch charakteristischer 0 26 a Nr. 1, 34 b Nr. 1, 65 b Nr. 1,
66 b Nr. 2, 71a Nr. 1, b Nr. 1, 73 a Nr. 4, 77 b Nr. 4, 5. Auf einem kegelförmigen Dach
pflegt in 0 der Schwörende seine Finger seitlich anzulegen, so z. B. 0 33 b Nr. 3, 34 b
Nr. 1, 37 a Nr. 3, 47 a Nr. 2, wiewohl das Berühren der Dachspitze auch dort vorkommt
z. B. 45 b Nr. 3, 47 a Nr. 1.

Insoweit stimmt die Illustration mit dem überein, was gleichzeitig die schriftlichen
Zeugnisse sächsischen Rechts über die Schwurform aussagen.1) Nur in Bezug auf die
Stellung des Schwörenden weicht sie ab, indem sie ihn nicht knieen, sondern stehen läßt.
Dies braucht nicht auf Willkür der Zeichner zu beruhen. Denn auch auf einem Gemälde
an der südlichen Chorwand des Doms zu Braunschweig (c. 1225) schwört man stehend
auf die Heiligen. Der Reliquienbehälter ruht gewöhnlich vor dem Schwörenden auf einem
Ständer vom nämlichen Schema, wie wir es an einem im Göttinger Museum aufbewahrten
wiederfinden. An zwei unmittelbar benachbarten Stellen hält der Eidempfänger das Reliquiar
dem Schwörenden vor, D 52 b Nr. 2, 3, H 26 b Nr. 2, 3 (Taf. XXIX 1, 2), 0 86 b Nr. 6,
87 a Nr. 1. Einigemal jedoch trägt der Schwörende das Heiltum auf der linken Hand, so
D 23 b Nr. 4, 61a Nr. 3, 81a Nr. 4, 5, 0 41 a Nr. 2 (Gegensinn). S. auch unten. Hängt
es ihm in D 78 a Nr. 3 der Zeichner an einem Riemen um den Hals, so tut er dies wohl
nur, weil er sonst für die verschiedenen Gebärden der ohnehin schon dreiarmigen Figur nicht
genug Hände übrig behalten würde. In dem Tragen der ,Heiligen' durch den Schwörenden
spricht sich seine Pflicht aus, selbst für ihre Herbeischaffung zu sorgen (sie zu gewinnen).
In bestimmten Fällen gebot es die Natur des Verfahrens, daß der Schwörende das Reliquiar
mit der linken Hand festhielt, nämlich bei den Überführungseiden gegen einen auf hand-
hafter Tat Ergriffenen und gegen einen Verfesteten, da nach dem Richtsteig Landrechts2)
der Kläger seinen Eid über dem Haupt des sitzenden Beklagten leisten und zu diesem
Zweck ihm das Reliquienkästchen auf das Haupt setzen mußte. Dem entspricht hei
Ssp. III 88 § 4 die Szene in H 29 a Nr. 4 (Taf. XXXH 1), wo der Kopist nur die linke
Hand des schwörenden Klägers (2. Figur) mißverstanden hat. Weiter irrt der Zeichner
von D 55 a Nr. 4 ab, indem er den Kläger das Heiltum auf seiner linken Hand frei hinaus
halten und die Schwurfinger unmittelbar über den Kopf des Beklagten halten läßt. Bei
dem parallelen Falle von III 88 § 3 aber zeigt sich in H 29 a Nr. 3 (Taf. XXXI 10) eine
mindestens auf Y zurückgehende Variante des vorhin beschriebenen Ritus: der Kläger
berührt mit den Schwurfingern die Spitze des vor ihm stehenden Reliquienkästchens,
während er den zweiten und dritten Finger der linken Hand auf den Kopf des Beklagten
legt. An der gleichen Stelle in D (55 a Nr. 3) hält der Kläger seine linke Hand über ihn.
Von dieser Form des Übersagens läßt sich das Schema schon früh quellenmäßig nach-
weisen.3) Aber noch eine dritte Form gab es, die für deutsches Recht zwar erst im

J) Planck Deut. Gerichtsverfahren II 33 f., 94 f. Homeyer Bichtsteif/ Landrechts 456, Des Ssp,
zweiter Teil II 568 f., I 252.

2) 32 | 10, 35 § 6. Vgl. auch Goslar. Stat. 36, 18 f.

3) Willkür v. Leobschütz bei J. Grimm Bechtsalterthümer* II 551,. Unwesentlich ist, daß hiernach
die Schwurfinger nicht auf einem Relicjuiar, sondern auf einem Kreuz liegen.
 
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