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Eine Fülle von Büchern3 war erschienen, deren Autoren die Ironie des
großen Geographen Eratosthenes aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. nicht
wahrgenommen hatten. Zu den Bemühungen seiner Zeitgenossen, die Ge-
gend der Irrfahrten des Odysseus auszumachen, hatte er erklärt, das werde
erst gelingen, wenn man den Sattler fände, der den Schlauch für die Winde
zusammengenäht hat4.

Die Lektüre der alten und neuen Autoren, die den Versuch gleichwohl
nicht aufgegeben hatten, war unbefriedigend. Zunächst schien der Grund
darin zu liegen, daß diese Bücher trotz aller offensichtlichen Akribie der
Beweisführung zu auswechselbaren Ergebnissen kamen. Schließlich wurde
klar, daß das eigentlich Unbefriedigende daran die Fragestellung war. Die
Odyssee ist ein anderes Genre als das Tagebuch Gontscharows von der
Fahrt auf der Fregatte Pallas. Nicht umsonst stellte die antike Tradition sich
den Sänger Homer als Blinden vor. Was er schildert, vollzieht sich vor sei-
nem inneren Auge. Man kann die Odyssee nicht mit einem Segelboot nach-
fahren wollen. Der Monte Circeo war längst vor dem Untergang Trojas, der
im Bewußtsein Homers weniger als ein halbes Jahrtausend vor seiner Zeit
stattfand, keine Insel mehr, sondern er war durch die diluviale Anschwem-
mung der pontinischen Ebene seit der Urzeit mit dem Festland verbunden.

Es war der Wunsch der Leser der Odyssee, diese Begebenheiten, die ei-
nen so unerhörten Wahrheitsgehalt hatten und die Realität oft so genau tra-
fen, mit einem festen Ort zu verbinden. So entstand die Vorstellung, daß der
Monte Circeo, der wie eine Insel aus den flachen Pontinischen Sümpfen
aufragt, zum Eiland Aiaia wurde, oder die Tradition, nach der die Skylla in
der Meerenge von Messina und der Kyklop bei Acireale auf Sizilien hau-
sten, wo man noch heute die Felsbrocken im Meer zeigt, die Polyphän nach
dem Schiff des Odysseus geworfen haben soll. Dieser uralte Wunsch der
Menschheit, den Weg des Odysseus nachverfolgen zu können, fand durch
die Entdeckungen Heinrich Schliemanns, der das Geschehen derllias loka-
lisiert zu haben glaubte, neue Nahrung. Aber auch hier endete das Ganze
nur mit dem tieferen Verständnis, daß man ein Dichtwerk nicht einfach in
eine archäologisch faßbare, mit dem Spaten an den Tag zu fördernde Reali-
tät verwandeln kann.

Die Archäologen haben inzwischen sichere Beweise dafür in der Hand,
daß der Trojanische Krieg so, wie Homer und die Dichter seines Kreises ihn
schildern, nicht stattfand. Troja wurde nicht von den Griechen, sondern von
einem Erdbeben zerstört. Das hatte man mythisch in das Bild vom Trojani-
schen Pferd gefaßt: Der Erderschütterer Poseidon war in Pferdegestalt ver-
ehrt worden, und daß ein Erdbeben die Mauern Trojas zum Einsturz ge-
bracht hatte, ist der historische Kern der dichterisch gestalteten Geschichte5.
Will man den Realitätsgehalt der Dichtung mit archäologischen Mitteln

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