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wenden sich nicht in erster Linie an die Wissenschaft, sondern an alle Inter-
essierten, aus denen Schiller einen Funken schlägt, wenn er sagt:
» Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.«
Will man heute, ein Vierteljahrhundert nach den Ausgrabungen in der
Tiberius-Grotte von Sperlonga, ein klares Bild von der Bedeutung dieser
Funde gewinnen, die damals als Sensation gefeiert wurden und in der Tat
der Beginn einer Serie außergewöhnlicher und weitreichender Entdeckun-
gen waren, so muß man sich in Gedanken, wie ein neuer Odysseus, auf eine
Zickzack-Reise durch die Alte Welt begeben. Es ist der Weg, den auch die-
ses Buch auf der Suche nach der Bildwerdung des Odysseus-Mythos ein-
schlagen mußte.

Am Anfang steht die vielbehandelte Frage nach der Entstehungszeit des
Mythos. Sie soll mit rein archäologischen Mitteln neu zu beantworten ver-
sucht werden. Bekannt ist, daß die Odyssee dem ersten Großepos der euro-
päischen Literatur, der llias Homers, in unbestimmtem zeitlichen Abstand
folgt. Noch in der jüngsten philologischen Literatur wird die Ansicht vertre-
ten, daß beide Epen zumindest in ihrer Urfassung das Werk des gleichen
Dichters sind. Das setzt voraus, daß sie im zeitlichen Rahmen eines Lebens-
alters entstanden sind. Die Chronologie, die man durch archäologische
Kombinationen erarbeiten kann, spricht nicht dafür. Die llias ist ein Werk
des mittleren 8. Jahrhunderts v. Chr., das heißt der geometrischen Z,eit, die
Odyssee hingegen ist erst in der orientalisierenden Epoche geschaffen wor-
den, das heißt am Anfang des 7. Jahrhunderts v. Chr. Sie baut nicht nur auf
einer neuen Weltsicht auf, sie stellt im Titelhelden auch einen neuen
Menschentypus dar, der zum Inbegriffbild des europäischen Menschen
werden sollte. Im Untertitel des Buches »Archäologie des europäischen
Menschenbildes« klingen die eigentliche und die übertragene Bedeutung
des Wortes Archäologie an. Einmal ist natürlich die Beschäftigung des
Fachs Archäologie mit den Darstellungen des Odysseus-Mythos in der an-
tiken Kunst gemeint, zum anderen bedeutet Archäologie im Sinne des grie-
chischen Historikers Thukydides aber auch die Geschichte von den Anfän-
gen, von den Voraussetzungen des eigenen Lebens. Eine solche Vorausset-
zung ist die von griechischen Denkern, Dichtern und Künstlern vollzogene
Ausgestaltung eines dynamischen, die Schwierigkeiten des Lebensweges
durch vorausschauendes Planen meisternden Menschentypus, der zuerst im
Odysseus der Odyssee vorgebildet wurde.

Schon die unmittelbar auf den Dichter der Odyssee folgenden Vasenma-
ler der orientalisierenden Zeit erkannten, daß dieser Odysseus seine Gei-
steskräfte in exemplarischer Weise im Polyphem-Abenteuer einsetzt. Sie

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