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also gepflügte Felder, noch von Menschen, das heißt Bauten, sondern
nur einen Rauch, der von irgendwoher aufsteigt. Der Maler der Odys-
see-Fresken ließ sich hingegen von den knappen Worten des Dichters zu
hinreißenden Landschaftsfolgen anregen. Aus der Bemerkung über den
»herrlichen Hafen, um den sich rings der Fels hinzieht, steil aufsteigend,
fort und fort auf beiden Seiten, und vorspringende Gestade ragen vor,
einander gegenüber an der Mündung, und schmal ist die Einfahrt«60,
gewann er die Inspiration, eine tief ins Land reichende Bucht zu gestal-
ten, die als Ankerplatz für die Schiffe der Gefährten des Odysseus dient,
aber auch zur schrecklichen Falle wird.

Die Schiffe versperren sich selbst den Ausgang. Da haben die Kanni-
balen leichtes Spiel, »mit Feldsteinen, von denen jeder einen Mann
schwer belastet hätte, von den Felsen zu werfen. Und alsbald erhob sich
ein schlimmes Getöse auf den Schiffen von Männern, die zugrunde gin-
gen, und Schiffen zugleich, die zerbrachen. Und wie Fische spießten sie
sie auf und trugen sie mit sich fort zur unlieblichen Mahlzeit«.61

Dieses ganze furchtbare Geschehen, in dem alle anderen Schiffe und
Gefährten des Odysseus zugrunde gingen, und nur er selbst sich mit sei-
nem Schiff retten konnte, weil er alle Eventualitäten vorausbedacht hat-
te, ist mit großer Ausführlichkeit geschildert. Je mehr man sich in die
Bilder vertieft, desto mehr Einzelheiten erkennt man, in denen der Ma-
ler die dichterische Erzählung bildlich ausgestaltet hat. Und doch be-
greift man, daß die Sehweise der Zeit eine ganz andere ist als die des
Dichters. Der großartige Reiz der landschaftlichen Szenerie, in der der
Maler die Handlung sich abspielen läßt, scheint für den Dichter der
Odyssee nicht existent gewesen zu sein. Er erwähnt nur die Unwirtlich-
keit der Gegend, welche suggestiv das drohende Verderben ankündigt.
»Den ebenen Weg, auf welchem Wagen von den hohen Bergen das Holz
zur Stadt hinunterfahren«, erwähnt er62, nicht weil der Weg durch eine
eindrucksvolle Gegend führt, sondern weil man auf diesem Wege er-
kunden kann, wer in der Stadt wohnt.

Hier begegnet den Kundschaftern die starke Tochter des Lästrygo-
nenkönigs Antiphates, die an einer Quelle Wasser holen will. Der Maler
hat aus den Andeutungen des Dichters, den die Anzeichen menschlicher
Werke, das heißt die Bewohntheit der Gegend interessieren, ein bizar-
res, vielgestaltiges Gestade herausgelesen, mit einem Felsenturm im Vor-
dergrund und einem überhängenden Felsrücken rechts, zwischen denen
ein Hohlweg zur Quelle herabführt. Am Himmel links oben fahren noch
die schemenhaften Windgötter durcheinander, die die Gefährten in un-
bezähmbarer Neugier aus dem Sack des Aiolos entfesselt hatten. Sie ver-
schlugen die Flotte an dies entfernte Gestade. Man sieht, wie die Winde

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