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schon weit gediehen, aber noch nicht vollendet war. Schon während des
Krieges mit Octavian und besonders nach der Niederlage von Actium 31
v. Chr. müssen die Bauarbeiten zum Erliegen gekommen sein. Was lag
näher, als den noch nicht geweihten Tempel nach dem Tode Marc An-
tons, nachdem eine gewisse Zeit der Konsolidierung der Herrschaft Oc-
tavians verstrichen war, dem neuen Machthaber zu widmen? 29 v. Chr.
hatte er die Erlaubnis erteilt, ihm sowie seinem Adoptivvater Gaius Ju-
lius Caesar und der personifizierten Roma göttliche Ehren zu erweisen.
Den kleinen, rasch zu erbauenden Doppeltempel der beiden letzteren
hat man am Rande des Staatsmarktes ausgegraben. Den großen Tempel
für ihn selbst sucht W. Jobst90 neuerdings zu Recht in dem Tempel auf
dem Staatsmarkt, der als Zentrum in die augusteische Neuordnung die-
ser monumentalen Platzanlage einbezogen wurde. Aber er kann nicht
mit dieser zugleich begonnen worden, sondern muß, wie wir sahen, älter
sein.

Wenn das zutrifft, dann ließen sich erstaunlicherweise alle oben of-
fengebliebenen Fragen mit einem Schlage beantworten. Die einzige
Gottheit, bei deren Tempel das Thema der Blendung Polyphems als
Giebelschmuck sinnvoll erscheint, ist Dionysos. Denn Polyphem wird
durch den Wein, das heißt die Kraft des Dionysos, überwunden91.

Nur in der Zeit Marc Antons, aus der die Skulpturen ihrem Stil nach
zu stammen scheinen, konnte ein Dionysos-Tempel auf dem Staats-
markt in Ephesos gebaut und konnten die Giebelskulpturen dazu in
Auftrag gegeben werden. Nur in einem römisch beeinflußten Tempel
mit steilem Giebeldreieck konnten die Skulpturen untergebracht wer-
den.

Doch sie wurden offenbar niemals in den Giebel versetzt, wofür nun
auch eine Erklärung möglich ist. Der Tempel war noch nicht fertig, als
der Mann, zu dessen Ehren er für Dionysos errichtet wurde, ums Leben
kam. Es hatte nun keinen Sinn mehr, die Skulpturen im Giebel zu verset-
zen, an denen man parallel zur Erbauung des Tempels gearbeitet hatte.
Sie blieben ungenutzt in der Bildhauerwerkstatt stehen, wie so viele
Skulpturen, deren Vollendung der Auftraggeber nicht erlebt hat oder
über deren Sinn die Zeit hinweggegangen ist. Erst viele Generationen
später wurden sie unter anderen Voraussetzungen und an anderer Stelle
wiederverwendet.

Das alles klingt wie ein Roman, und es ist im wissenschaftlichen Sinn
auch kaum strikt zu beweisen. Es gibt aber einen verborgenen Hinweis
für die Richtigkeit dieser Hypothese, eine Textstelle bei dem griechi-
schen Historiker Plutarch, dem wir die ausführlichste Biographie des
Triumvirn Marc Anton verdanken.

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