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Plutarch berichtet92, beim Einzug Marc Antons in Ephesos seien
Frauen als Bacchantinnen, Männer und Knaben als Satyrn und Pane ko-
stümiert vor ihm hergegangen. Von Efeu und Thyrsosstäben, vom Klang
der Saiteninstrumente, von Schalmeien und Flöten sei die Stadt erfüllt
gewesen, und ihn selber priesen sie als Dionysos den >Freudenbringer<,
den >Huldreichen<. Doch dann fährt er fort: »Das war er gewiß für eini-
ge; für die meisten aber war er der >Rohverschlinger<, der >Grausamwil-
de<.« Diese beiden Bezeichnungen sind Kultnamen des Dionysos, die
seine dunkle, wüste Seite andeuten sollen. Deshalb kann man sie auch
einfach als Aussage über die Willkürherrschaft Marc Antons verstehen.
Der politische Witz, der in dieser Aussage steckt, wird aber vor dem Hin-
tergrund der Auftragserteilung für den Tempelbau und für die Schaffung
der Giebelgruppe mit dem Riesen Polyphem in der Mitte wesentlich
prägnanter. Wenn Marc Anton diesem Themenvorschlag für den Gie-
belschmuck zugestimmt hat, dann sah er zweifellos in Odysseus ein Vor-
bild für seine eigene Virtus. Dieses römische Lebensideal93, das die grie-
chischen Tugenden der Arete und Andreia, der Tüchtigkeit und der
Mannhaftigkeit, in einem einzigen Wort zum wesentlichen Wertbegriff
der Römer verbindet, war in Odysseus verkörpert. Mit einer Verherr-
lichung des Odysseus könnte der Römer versucht haben, sich bei den
Griechen beliebt zu machen, deren Heros und Vorbild Odysseus war.
Zugleich könnte er in der Überwindung des italischen Riesen Polyphem
auf seine Rivalität mit Octavian angespielt haben, den er vielleicht mit
den gleichen Eigenschaften zu bezwingen hoffte, wie Odysseus sie hier
an den Tag legte.

Was er aber nicht verhindern konnte, war, daß die Griechen in Ephe-
sos das ganz anders sahen und daß sie ihn ihrerseits nicht mit Odysseus,
sondern mit Polyphem identifizierten. Seine Trunksucht war bekannt,
und wenn seine politischen Feinde den Neos Dionysos mit den uralten
Kultnamen >Rohverschlingen und >Grausamwilder< bezeichneten, dann
könnte darin unter Bezug auf den im Entstehen begriffenen Poly-
phem-Giebel eine böse, geistreiche Spitze stecken. Denn auch Poly-
phem war ein Rohverschlinger und Grausamwilder. So erscheint der Be-
richt über diesen politischen Witz, der damals in Ephesos umging, bei
Plutarch verkürzt. Plutarch schrieb seine Biographie 150 Jahre nach den
Ereignissen, als Dionysos-Tempel und Polyphem-Giebel schon verges-
sen waren. Vor dem Hintergrund der Rekonstruktion desselben be-
kommt die Geschichte aber erst ihre eigentliche Pointe.

So spricht alles dafür, daß in der Polyphem-Gruppe von Ephesos die
Skulpturen des spätesten griechischen Figurengiebels erhalten sind, die
zugleich als die ältesten und einzigen erhaltenen Reste eines römischen

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