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Marmorgiebels gelten können. Schon in den frührömischen Terrakotta-
giebeln94 kündigt sich die Tendenz an, Giebel mit Reliefs zu schmücken,
eine Form, die im Lauf der Zeit die zur Aufstellung rundplastischer Fi-
guren bestimmte griechische Giebelbühne verdrängt. Erhalten ist kein
einziger kaiserzeitlicher Giebel mit Rundfiguren95. Aber zumindest
beim Giebel des 42 v. Chr. gelobten, aber erst 20 v. Chr. ausgeführten
Mars-Ultor-Tempels auf dem Forum des Augustus96, der aus einer Re-
liefnachbildung in Rom bekannt ist, wird man mit rundplastischen oder
fast rundplastischen, an die Giebelrückwand gelehnten Figuren rechnen
dürfen. Dieser Giebel ist die zeitlich dem Polyphem-Giebel nächst-
stehende römische Giebelkomposition, die man kennt. An vorherge-
henden griechischen Giebeln, von denen wenigstens Reste erhalten
blieben, sind der Giebel des Dionysos-Tempels in Teos97 und derjenige
des neuen Tempels in Samothrake98 zu nennen, beide aus dem 2. Jahr-
hundert vor Christus.

In die zeitliche Lücke zwischen den Schöpfungen dieser Giebelkom-
positionen tritt nun der im Jahrzehnt 41 bis 31 v. Chr. entstandene Poly-
phem-Giebel von Ephesos. Er stellt damit einen Eckstein der Kunstge-
schichte dar, dessen Problematik hier nicht erschöpfend behandelt wer-
den kann.

Es sei aber darauf hingewiesen, daß die Darstellung des Mythos von
der Blendung Polyphems in einem Giebel nicht so singulär ist, wie man
zunächst annehmen möchte. Im italischen Raum wurden bei Tortoreto
in den Abruzzen, auf halbem Weg zwischen Ancona und Pescara, Frag-
mente tönerner Giebelfiguren99 von einem kleinen, wahrscheinlich aus
Holz errichteten Gebäude gefunden, wohl einem ländlichen Heiligtum
des 1. Jahrhunderts v. Chr. Diese Figuren sehen dem Zentrum der Gie-
belfiguren von Ephesos recht ähnlich.

Erhalten ist nur das rechte im Verhältnis zu den Menschen riesige
Bein eines sitzenden Polyphem, zu dessen Füßen ein hingeschmetterter
Gefährte des Odysseus liegt. Ein zweiter Gefährte, den der Riese offen-
bar am Handgelenk hielt, hängt auf seiner rechten Seite neben dem Fel-
sensitz herab. Eine von links herankommende Figur, leider ohne Arme
und Kopf, kann als Odysseus gedeutet werden. Es ist allerdings nicht si-
cher auszumachen, ob er dem Riesen den Becher reicht oder ob er schon
mit dem Pfahl zustößt, wofür die am Schulteransatz erkennbare Haltung
des rechten Armes spricht und eine eingetiefte Rille vor dem Leib, die
vom Pfahl herrühren könnte. Auf jeden Fall war in dieser italischen Ter-
rakotta-Giebel-Gruppe der Polyphem-Mythos dargestellt. Der Giebel
von Ephesos steht also nicht allein.

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