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Andreae, Bernard
Odysseus: Archäologie des europäischen Menschenbildes — Frankfurt a.M., 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.15161#0126
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DER von einem gewissen Punkt an unfruchtbaren wissenschaftlichen
Diskussion konnte man am Ende nur durch den Versuch einer im einzel-
nen begründeten Rekonstruktion der Skulpturengruppen von Sperlonga
entkommen. Aber dies war leichter gesagt als getan. Denn es gab keine
erprobte Methode, nach der man eine Skulpturengruppe von dieser
Größenordnung unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten rekonstru-
ieren konnte.

Bildhauer früherer Generationen hatten zwar, meist im Auftrag der
Besitzer, beschädigte antike Skulpturen oft mit großem Aufwand und
nicht geringem Geschick ergänzt. Aber gerade an diesen Skulpturen
hatte die moderne ästhetische Kritik zu Recht festgestellt, daß schon der
geringste Eingriff in die künstlerische Substanz eines alten Werkes ganz
gleich welcher Epoche unzulässig ist. In den Museen war geradezu eine
Manie der Entrestaurierung eingetreten, bei der man auch vor den Re-
konstruktionsbemühungen so bedeutender Bildhauer wie Vernini und
Thorwaldsen nicht haltmachte. Es war also von vornherein undenkbar,
die Originale selbst zu ergänzen oder sie auch nur zu Versuchen heran-
zuziehen, in denen die möglichen Positionen der Fragmente erprobt
werden sollten. Die Marmortorsen waren viel zu schwer und die Ober-
fläche der außerordentlich fein bearbeiteten Fragmente viel zu leicht
verletzlich, als daß man mit diesen selbst hätte arbeiten können.

Bernhard Schweitzer150 hatte in den dreißiger Jahren in der Nach-
folge Studnickas und anderer die sogenannte Pasquino-Gruppe, von der
auch in Sperlonga eine Replik in Fragmenten gefunden wurde, durch
den Bildhauer Fr. Hackebeil in Gips ergänzen lassen. Er hatte dabei
zwar das Kunstwerk nicht wiederhergestellt, aber er hatte während der
langjährigen Arbeit an diesem Projekt so viele Erkenntnisse über künst-
lerisches Wesen und Aussage der berühmten Skulpturengruppe zutage
gefördert, daß dies allein den Aufwand schon gelohnt hat. Er konnte sich
bei seiner Arbeit der in den verschiedenen Gipsformereien käuflichen
Gipsabgüsse der Repliken dieser Skulpturengruppe bedienen.

Von den Skulpturen von Sperlonga existierten jedoch keine Formen,
aus denen man Abgüsse hätte machen können, und in der Zwischenzeit
war die Gipsformerei nahezu unerschwinglich geworden. Alle Skulptu-
ren von Sperlonga nach der alten Methode der Ton- oder Gipsstückform
abformen zu lassen, hätte Summen verschlungen, die nicht zur Verfü-
gung standen. Nur den Kopf des Odysseus haben wir von dem großen
Meister der Gipsformerei, Luigi Mercatali, abformen lassen, weil jede
andere denkbare Technik für die dünnen Stege der frei herausgearbeite-
ten Haare womöglich hätte gefährlich werden können. Aber schon aus
dem Aufwand an Können und Zeit für diesen einen Kopf wurde klar,

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