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Die Ansicht von der linken Flanke her, bei der man die prachtvolle,
kreisende Komposition der um den Hinterkopf gestuften Locken sehen
und die Tiefenentwicklung der Figur an den sich hintereinander staf-
felnden Umrißlinien des linken Armes, der Schulterblätter, des Kopfes
und der rechten gegen den Riesen ausgestreckten Hand ablesen kann,
bietet sich am besten dar, wenn man auf den Stufen der Rampe innehält,
die auf die Terrasse hinter der Gruppe hinaufführt. An dieser Stelle wird
der Blick über die schräg ansteigende Schulterlinie zu dem Blickpunkt
nach oben geleitet, wo in der nächsten Sekunde der glühende Pfahl das
Auge des Riesen durchstoßen wird. Hier hat man das unwiderstehliche
Erlebnis, daß man sich selbst mit diesem flüchtenden Mann identifizie-
ren muß, der seine Pflicht schon getan hat und sich nun durch einen ge-
waltigen Satz vor der Wut des im nächsten Augenblick geblendeten Rie-
sen in Sicherheit zu bringen versucht. Man hat die Sensation, mit dieser
Figur zu verschmelzen und mit ihr gemeinsam diesen entscheidenden
Augenblick des Rettungsversuches zu erleben.

Will man dann vor die Mitte der Gruppe treten, so wird man in einem
leichten Kreisbogen, der dem Beckenrand entspricht, an der Gruppe
entlanggeführt und hat dabei das merkwürdige Erlebnis, daß die Figuren
(und nicht man selbst) sich zu bewegen scheinen. Man muß, während
man am Podium vorbeischreitet, die Augen hin- und herwandern lassen,
um die Gruppe nicht nur ausschnitthaft zu sehen, und diese relative Be-
wegung scheint die Figuren selbst in Bewegung zu setzen.

Hält man dann an einem Punkt in der Mitte der Gruppe inne, von wo
aus man nur mit einer Kopfbewegung die ganze Gruppe von links na£h
rechts und von rechts nach links ablesen kann, dann erfährt man, daß der
flüchtende Mann mit dem geleerten Weinschlauch zum Stimmungsträger
des ganzen Geschehens wird.

Alle anderen Figuren sind eingespannt in die Aktion der Blendung.
Der Riese liegt regungslos da. In seiner Haltung kann man die vorherge-
hende Phase des Blendungsvorgangs wiedererkennen, als er noch, wie in
den Gruppen von Ephesos und Baiae oder auf den Mosaiken im Golde-
nen Haus des Kaisers Nero und in der Villa von Piazza Armerina, auf
seinem Felsensitz saß, die Hand nach dem Becher ausstreckte und einen
Becher nach dem anderen hinunterstürzte, wobei er Odysseus in das
wichtige Gespräch über dessen Namen verwickelte. In ähnlicher Hal-
tung, in der Odysseus nun den Pfahl durch seine Hände gleiten läßt, um
ihn ins Auge des Riesen zu lenken, hatte er diesem zuvor den Becher
hingehalten. Das Bewegungsmotiv des einen Becher reichenden Odys-
seus von Baiae ist jedenfalls dem Odysseus der Blendungsgruppe von
Sperlonga so ähnlich, daß er der Rekonstruktion des in Sperlonga verlo-

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