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Polyphem-Gruppe verglichen hätte, um zu sehen, wie der Schöpfer der
Gruppe die Psychologie dieser anderen Seite des Odysseus gestaltet hat.

Aus der kleinen Wiederholung in der Reliefnachbildung der mittle-
ren Kaiserzeit geht das nicht hervor. Beim Vergleich der Fragmente mit
diesem Relief kann man nur das Motiv des Diomedes, die Gebärde der
rechten Hand des Odysseus, seine Kopfwendung und den Zusammen-
hang der ganzen Gruppe erschließen. Danach scheinen die beiden Hel-
den in heftiger Bewegung auseinanderzufahren und sich dabei wütend
anzublicken. Diomedes trägt das blanke Schwert in der Rechten. Er war
offenbar im Ausschreiten nach links begriffen, als ihn etwas aufschreck-
te, so daß er den Kopf leidenschaftlich zurückwirft. Odysseus, der ihm
folgte, prallt zurück. Ihre Augen bohren sich ineinander. Odysseus greift
sich mit einer Bewegung, die Unschlüssigkeit andeutet, in den Bart. Mit
der Linken trägt er das ins Mäntelchen gewickelte und darin verborgene
Schwert in der Weise, daß er es jederzeit ziehen kann. Er umgreift die
Scheide mit der Linken und legt dabei Zeige- und Mittelfinger so über
das Heft des Schwertes, daß es nicht von selbst aus der Scheide gleiten
kann, daß er aber den vorragenden Griff sofort mit der Rechten fassen
kann.

Der sprechenden Szene liegt folgende Mythenepisode190 zugrunde:
Einer Weissagung zufolge konnten die Griechen Troja nicht erobern,
solange die Stadt unter dem Schutz des uralten Götterbildes stand. Des-
halb wurden Odysseus und Diomedes wie in einem nächtlichen Kom-
mandounternehmen ausgesandt, das hölzerne Idol zu rauben. Odysseus,
der ältere, half dem jüngeren Gefährten über die Stadtmauer, indem er
mit den zusammengesteckten Händen eine Stufe bildete. So gelangte
Diomedes als erster zum Tempel und nahm das Palladion von seinem
Postament. Odysseus konnte diesen Erfolg des Gefährten nicht so leicht
verwinden. Auf der Heimkehr ergriff ihn der Neid, und er überlegte, ob
er Diomedes hinterrücks erschlagen und das Palladion an sich nehmen
solle, um es ins Lager der Griechen zu bringen, denen er erzählen könne,
Diomedes sei bei dem Unterfangen umgekommen, nur er, Odysseus,
habe sich mit dem Palladion retten können. Während er, noch unschlüs-
sig, über diesen Verrat nachsinnt und dabei mit verlegener Geste seinen
Bart zwirbelt, verbirgt er schon die Mordwaffe in seinem Gewände.
Doch Diomedes, der vom Erfolg beflügelt, vorausschreitet, sieht das
Schwert des Odysseus im Mondlicht blinken. Er erkennt die feige Ab-
sicht seines Kameraden, wendet sich blitzschnell um und zwingt ihn mit
blanker Klinge vor sich her ins Lager der Griechen zurück.

In echt griechischer Weise, die den Helden nicht nur strahlend sieht,
sondern auch seine menschliche Anfälligkeit erkennt, ist hier die verzeh-

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