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Andreae, Bernard
Odysseus: Archäologie des europäischen Menschenbildes — Frankfurt a.M., 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.15161#0182
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S. 177 GROTTA DI TIBERIO wird die Höhle von Sperlonga genannt, weil

desrfberFus Tacitus und Sueton übereinstimmend berichten, Kaiser Tiberius sei im
als Kronprinz, Jahre 26 n. Chr. in dieser Villa, das heißt, wie wir erst jetzt wissen, ange-
lungender* sichts der in den vorhergehenden Kapitel beschriebenen Marmorpracht,
Ruhr-Uni- in einer Katastrophe, die für sein weiteres Leben entscheidend war, nur
Lochum knapp dem Tode entronnen.

Tacitus197 berichtet: »Man war auf dem Landgut namens Spelunca,
das zwischen dem Meer bei Amunclae und den Bergen von Fondi liegt,
und speiste in einer natürlichen Felsgrotte. Da fielen am Eingang plötz-
lich Felsstücke herab und erschlugen einige Diener. Alles geriet in
Furcht; die Tischgäste flohen. Sejanus dagegen beugte sich knieend über
den Kaiser und schützte ihn mit seinem eigenen Haupt und Händen ge-
gen die herabfallenden Steine. In dieser Stellung fanden ihn die Solda-
ten, die zur Hilfe herbeieilten. Seitdem stand er noch größer da. Moch-
ten seine Ratschläge noch so verderblich sein, als selbstloser Freund fand
er Vertrauen und Gehör.«

Bei Sueton198 liest sich der gleiche Sachverhalt folgendermaßen:
»Allein nachdem er seine beiden Söhne, den Germanicus in Syrien, den
Drusus in Rom, durch den Tod verloren hatte, zog er sich nach Kampa-
nien in die Einsamkeit zurück, und fast allgemein glaubte und sagte man
bestimmt, daß er nicht mehr nach Rom zurückkehren und auch wohl
bald sterben werde. Beides traf halb und halb ein. Denn in der Tat kam
er nie mehr nach Rom zurück, und wenige Tage nach seiner Abreise, als
er bei Terracina auf einem Landhause, das die Grotte heißt, zu Nacht
speiste, stürzten mehrere gewaltige Blöcke zufällig von dem überhän-
genden Felsen nieder, wodurch viele Gäste und Diener erschlagen wur-
den, während er selbst wider Verhoffen unbeschädigt davonkam.«

■ Es ist klar, daß weder Tacitus, der diese Zeilen etwa 75-80 Jahre
nach dem Ereignis niederschrieb, noch Sueton, dessen Kaisergeschichte
erst etwa 90 Jahre danach entstand, ein unmittelbares Interesse an der
Villa hatten, die sie jedoch als Praetorium, das heißt Kaiserlichen Land-
sitz199 bezeichnen. Den beiden Historikern ging es darum zu erklären,
wieso Tiberius ein so blindes Vertrauen in seinen Gardepräfekten Sejan
gewinnen konnte. Dieser hatte beim Steinschlag in Sperlonga sein Leben
aufs Spiel gesetzt, um das des Kaisers zu retten. Einen größeren Loyali-
tätsbeweis konnte der Kaiser nicht erwarten. Das herausgestellt zu ha-
ben mußte den Autoren der Kaisergeschichte genügen.

Nach der Ausgrabung der Höhlenvilla von Sperlonga, das heißt,
nachdem man heute eine genauere Vorstellung von der Größe und Be-
deutung dieses Praetoriums besitzt als Tacitus und Sueton, die die Villa
so gut wie sicher nicht persönlich in Augenschein genommen haben, ge-

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