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Merkwürdig ist, daß die beiden nur als Fragment erhaltenen Skulptu-
ren keinerlei Verwandtschaft mit den Skulpturen von Sperlonga zeigen,
während die Anlage selbst doch ihren Zusammenhang mit Sperlonga
nicht verleugnen kann. Polyphem liegt am Boden. Er könnte also zu ei-
ner Darstellungsform gehören, die sich eng an den Text der Odyssee an-
lehnt und möglicherweise typologisch mit der Darstellung auf einer
etruskischen Urne verwandt wäre. Dem Stil nach handelt es sich um eine
römische Kopie nach einem pergamenischen Vorbild.283

Die Skylla, von der nur der Unterkörper mit drei verstümmelten
Hundeprotomen und dem Ansatz zweier weiterer sowie von zwei Fisch-
schwänzen erhalten ist, gleicht ebenfalls nicht der Skylla von Sperlonga,
sondern eher derjenigen aus der Villa Hadriana.284.

Der höhlenartige Raum, der diesen Skulpturenschmuck aufnahm,
war mit Ziegelmauern und Retikulatdurchschuß in einen ehemaligen
Steinbruch am Steilabfall des Kraterrandes um den vulkanischen See
hineingebaut und mit einem flachen Gewölbe überspannt, das wie in
Baiae mit künstlichem Grottenwerk überzogen war. Auch die Nischen in
den Wänden erinnern an den Saal von Baiae, der jedoch axialsymme-
trisch und nicht so weit geöffnet war. Die Funktion des Nymphäums von
Castel Gandolfo ist nicht eindeutig geklärt, doch fügt sich der ganze Bau
nach Typologie und bildlicher Ausstattung gut in die Reihe der Poly-
phem-Nymphäen ein. Er zeigt, wie die römischen Architekten diesen
Bestandteil des Bauprogramms einer großen Villa abwandeln konnten
und dabei doch die Grundzüge beibehielten. Die Größe der Anlage und
die Bedeutung des selbst in den Resten noch eindrucksvollen Skulptu-
renschmuckes zeigt, wie die Kaiser versuchten, einander mit der Dar-
stellung des neben Herkules bei den Römern offenbar besonders belieb-
ten Helden Odysseus zu übertrumpfen.

Seneca, der römische Philosoph und Tragödiendichter, der unter
Nero den Freitod wählte, hatte über Herkules und Odysseus gesagt285,
daß die stoischen Philosophen diese beiden Helden als Weise herausge-
stellt hätten, als unbesiegt von allen Mühen, als Bezwinger ihrer niedri-
gen Wünsche, als Sieger über alle Schrecknisse der Welt. In ähnlicher
Weise haben offenbar auch die römischen Kaiser in Odysseus ein nach-
ahmenswertes Vorbild gesehen. Die Tatsache allerdings, daß sie diese
Bilder zur Erhöhung des Tafelluxus beim Speisen vor Augen haben
wollten, zeigt, daß sie dieses Vorbild auf ihre Weise zu erleben gedach-
ten. Und dies war eine Art, die nicht unbedingt dem hohen künstleri-
schen Niveau der Bildwerke entsprach. Verständlicher wird eine solche
Diskrepanz, wenn man in jenen nicht die Originale, sondern auf Bestel-
lung gearbeitete Kopien erkennen darf.

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