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6

BERNARD ANDREAE

bei ihm die Materialfrage konstitutiv ist für seine
Vorzüglichkeit. Der Laokoon aus Marmor ist ein
Opus, das allen in Malerei und statuaria ars vorzu-
ziehen ist. Das beim Laokoon in der Gedanken-
folge des Plinius mitschwingende Problem scheint
sich bei der Dirke-Gruppe des Apollonios und Tau-
riskos, die übrigens in Gemeinschaft arbeiteten,
ohne daß dadurch ihr Ruhm geschmälert wurde,
und bei der Quadriga des Lysias gar nicht gestellt
zu haben. Erstens war der Ruhm der Kunstwerke
anerkannt, und zweitens mußten sie als Marmor-
arbeiten nicht der Malerei oder statuaria ars vorge-
zogen werden, weil sie mit diesen gar nicht kon-
kurrierten.

Das gleiche ist bei der Löwin des Arkesilaos12 der
Fall, mit der geflügelte Eroten spielen, sie fesseln,
ihr Socken anziehen und sie zwingen, aus einem
Horn zu trinken. Diese vielfigurige Gruppe befand
sich, wie Plinius NH 36,41 mitteilt, im Besitz Var-
ros, der als eine Hauptquelle des Plinius gilt. Varro
rühmte diese Gruppe und scheint betont zu haben,
daß alles aus einem Stein war, denn Plinius gibt das
wieder, ohne die Gruppe selbst gesehen zu haben.
Auch diese Gruppe wird nicht zu anderen Kunst-
gattungen, wie Malerei und statuaria ars, in Bezie-
hung gesetzt, weil sie offenbar von vornherein in
Marmor konzipiert war.

Vergleicht man diese Erwähnung von Arbeiten
aus einem Stein mit dem Abschnitt über die
Laokoon-Gruppe, dann wird dieser zunächst kei-
neswegs klarer, sondern die inneren Widersprüche
werden, wenn man den Text im Sinne der Comu-
nis opinio versteht, ziemlich gravierend. Plinius
erklärt ein Werk, von dem kaum jemand redet, als
das Hauptwerk der Malerei und Plastik und be-
gründet dies damit, daß es aus „einem Stein" ge-
meißelt sei, obwohl dies auch auf andere Werke zu-
trifft, deren Ruhm allgemein bekannt ist. Die Be-
gründung dafür, daß niemand vom Laokoon redet,
ist ausgesprochen gesucht. Bei der Dirke-Gruppe
und bei vielen anderen Gemeinschaftsarbeiten13
störte niemand, daß zwei oder mehr Künstler sie
geschaffen haben, beim Laokoon aber hinderte es
die richtige Bewertung als das allen anderen vorzu-
ziehende Werk?

Vollends unlösbar werden die Widersprüche,
wenn man die im traditionellen Sinn verstandene
Aussage des Plinius mit dem vergleicht, was man
inzwischen über die Gruppe selbst herausgefunden
hat. Fassen wir deshalb zunächst das heutige Wis-

sen über die Laokoon-Gruppe unter weitgehender
Absehung der von Plinius gebotenen Informatio-
nen zusammen.

1. Die Laokoon-Gruppe (Frontispiz) wurde am 13.
oder 14. Januar 1506 in einer spätantiken Haus-
anlage, nicht weit vom Wasserreservoir der Tra-
jansthermen, auf dem Oppius-Hügel gefunden
und von Giuliano da Sangallo mit dem bei Pli-
nius erwähnten Laokoon identifizert, der auf-
grund dieser Erwähnung als das bedeutendste
Bildwerk des Altertums galt14.

2. Die Laokoon-Gruppe ist aus 7 Teilen verfer-
tigt, die wahrscheinlich schon vor der Feinbear-
beitung der Oberfläche mit geschliffenen An-
schlußflächen aneinandergestückt, verdübelt und
mit Kasein zusammengeklebt worden waren15.
Sie wirkt deshalb wie aus einem Stück. Bis
auf den hinteren Teilblock des Altares, der aus
carrarischem Marmor besteht, ist die Figuren-
Gruppe aus parischem Marmor gearbeitet. Da
der Steinbruch von Carrara erst um die Mitte
des 1. Jahrhunderts v. Chr. geöffnet wurde,
kann die Marmor-Gruppe im Vatikan erst nach
diesem Datum entstanden sein16.

3. Erst als 1957 der schon 1905 gefundene rechte
Arm angefügt wurde17, konnte man die Drama-
tik der Gruppenkomposition vollständig erken-
nen, und vor allem wurde erst jetzt die enge Ver-
wandtschaft zum Alkyoneus des Pergamon-
Altares evident, die aufmerksamen Betrach-
tern18 schon unmittelbar nach Bekanntwerden
des großen hellenistischen Reliefwerkes „ins
Auge gesprungen" war. Aus stilistischen Grün-
den müßte man die Schöpfung der Laokoon-
Gruppe um die Mitte des 2. Jahrhunderts
v. Chr. ansetzen.

4. Eine entscheidende neue Information war die
Entdeckung einer Signatur der Laokoon-Künst-
ler in Sperlonga am 14. September 195719. Atha-
nadoros, Hagesandros und Polydoros nennen
sich hier mit ihren Vatersnamen und ihrem Her-
kunftsort Rhodos als diejenigen, die eine maß-
gleiche exakte Marmorkopie einer berühmten
bronzenen Skylla-Gruppe20 verfertigt haben.
Diese Skylla-Gruppe ist aus antiken Reliefnach-
bildungen und ausführlichen byzantinischen Be-
schreibungen bekannt. Sie stand bis 1204 auf
dem Hippodrom von Konstantinopel und
wurde von den Franken eingeschmolzen und zu
Münzen geprägt. Wahrscheinlich wurde sie ge-
 
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