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Andreae, Bernard
Plinius und der Laokoon — Mainz am Rhein, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.14998#0024
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12

BERNARD ANDREAE

bindung von opus mit pictura und mit statuaria ars
gestört hat. Ein opus picturae ist nämlich ein gemal-
tes Kunstwerk, d. h. ein Gemälde, und ein opus sta-
tuariae artis ein Werk in Bronzeguß, d. h. eine
Bronzeplastik, während ein opus ex uno lapide eine
Ausführung in Marmor bedeutet. Um diesen
Wortsinn nicht durch eine Wonverbindung zu stö-
ren, die andere Assoziationen auslösen könnte, be-
ließ er es bei der einmaligen ausdrücklichen Nen-
nung des Begriffs opus, der ja, mit dem folgenden ex
uno lapide verbunden, den Wortsinn ,Ausführung'
hatte. Dieser Wortsinn wurde dann von den Lesen-
den gleichsam von selbst mit den Gattungen der
Malerei und des Bronzegusses als Gegensatz zum
Marmor verbunden. Das heißt, es ist die Rede von
der verschiedenen Ausführung eines einzigen The-
mas, nämlich des Laokoon in Marmor, in Malerei
beziehungsweise in Bronzeguß. Diesen einfachen
Gedanken hätte die Wiederholung von opus in der
Wortfolge omnibus operibus et picturae et sta-
tuariae artis gestört, und deshalb dürfte Plinius
zum Mittel der suspensiven Detractio gegriffen
haben. Er wollte opus nur im Sinne von Arbeit/
Ausführung verstanden wissen. Liest man den Ne-
bensatz opus omnibus et picturae et statuariae artis
praeferendum unter der Prämisse, Plinius habe ge-
wußt, daß der Laokoon im Palast des Titus die vir-
tuose Umsetzung einer hellenistischen Bronzepla-
stik in Marmor ist, und in der Erkenntnis, daß sta-
tuaria ars bei Plinius ausschließlich Technik des
Bronzegusses heißt, dann läßt er sich vollkommen
evident, aber ohne alle anderen Implikationen fol-
gendermaßen verstehen: „Die Arbeit/Ausführung
(sc. ex uno lapide, d. h. in Marmor) ist allen übrigen
in Malerei oder Bronzeguß vorzuziehen". Das ist
nun allerdings ein Satz, den man Plinius ohne wei-
teres zutrauen kann und der alle Schwierigkeiten
beseitigt, die sich bei der früheren, scheinbar so evi-
denten Lesung auftürmen. Plinius will ganz einfach
sagen, daß ihm die Darstellung des Laokoon in
Marmor besser gefällt, als alle ihm bekannten Dar-
stellungen des Themas in Malerei und Bronzeguß.

Daß es Darstellungen des Laokoon-Themas in
Malerei gab, beweisen die pompejanischen Fres-
ken. Man muß allerdings nicht so weit gehen anzu-
nehmen, daß Plinius im sogenannten Haus des
Menander56 oder in der Casa del Laocoonte57 per-
sönlich gewesen sei und die beiden noch heute be-
kannten Wandgemälde gesehen habe. So gut wie in
diesen Häusern kann es auch anderswo Gemälde
mit dem Laokoon-Thema gegeben haben, die Pli-
nius bekannt waren. Man braucht sich hier nicht in

Spekulationen z. B. über ein Laokoon-Gemälde des
Zeuxis58 zu verlieren, da die beiden pompejani-
schen Gemälde die Existenz der von Plinius vor-
ausgesetzten malerischen Versionen des Themas
ausreichend bezeugen.

Von Versionen in Bronzeguß oder gar von einer
ganz bestimmten solchen Version ist außer dem,
was man durch die Betrachtung der Marmor-
Gruppe selbst erschließen kann, nichts bekannt.
Wenn man diese zum Beleg dafür heranziehen will,
daß es eine Ausführung in Bronze gab, die Plinius
im Auge hatte, als er die Marmor-Gruppe den Wie-
derholungen in Malerei und Bronze vorzog, dann
könnte dies natürlich als Circulus vitiosus angese-
hen werden: Erst versucht man nachzuweisen, daß
die Laokoon-Gruppe im Vatikan eine Marmor-
kopie nach einem hellenistischen Bronzeoriginal
ist, und dann bezeichnet man dieses Bronzeoriginal
als die Ausführung in Bronze, der Plinius die Mar-
morausführung vorgezogen hat. Das ist nun in der
Tat genau das, was wir für wahrscheinlich halten.
Aber der Beweisgang ist, gerade bei strenger Be-
trachtung, kein Circulus vitiosus, sondern ein kla-
rer Syllogismus59. Das geht zunächst aus den Ein-
zelschritten der Entdeckung hervor, die deshalb
hier noch einmal kurz ins Gedächtnis gerufen wer-
den müssen60:

1. Die Wiederherstellung der Laokoon-Gruppe
durch Filippo Magi hatte den hellenistischen
Stilcharakter der Laokoon-Gruppe unverkenn-
bar werden lassen.

2. Die Entdeckung der Skulpturen von Sperlonga
mit der Inschrift der Laokoon-Künstler stellte
die Erforschung der Laokoon-Gruppe auf eine
neue Basis.

3. Alle mythologischen Skulpturen-Gruppen von
Sperlonga aus dem Atelier der Laokoon-Künst-
ler erwiesen sich aufgrund völlig verschiedener
Kriterien als tiberische Marmorkopien nach hel-
lenistischen Bronzeoriginalen.

4. Das gleiche war dann auch für den Laokoon an-
zunehmen. Bestätigt wird das durch die Eigenart
des nicht von der Schulter herabfallenden Man-
tels beim älteren Knaben. Dieser Mantel erweist
sich als geschickt kaschierte Stütze der Ausfüh-
rung in Marmor, den die Ausführung in Bronze
nicht benötigte. Da der Mantel dem Stilcharak-
ter des Werkes nicht entspricht, kann er nicht
ursprünglich sein, sondern wurde nötig, als man
das Bronzeoriginal in Marmor kopierte.
 
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