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BERNARD ANDREAE
bindung von opus mit pictura und mit statuaria ars
gestört hat. Ein opus picturae ist nämlich ein gemal-
tes Kunstwerk, d. h. ein Gemälde, und ein opus sta-
tuariae artis ein Werk in Bronzeguß, d. h. eine
Bronzeplastik, während ein opus ex uno lapide eine
Ausführung in Marmor bedeutet. Um diesen
Wortsinn nicht durch eine Wonverbindung zu stö-
ren, die andere Assoziationen auslösen könnte, be-
ließ er es bei der einmaligen ausdrücklichen Nen-
nung des Begriffs opus, der ja, mit dem folgenden ex
uno lapide verbunden, den Wortsinn ,Ausführung'
hatte. Dieser Wortsinn wurde dann von den Lesen-
den gleichsam von selbst mit den Gattungen der
Malerei und des Bronzegusses als Gegensatz zum
Marmor verbunden. Das heißt, es ist die Rede von
der verschiedenen Ausführung eines einzigen The-
mas, nämlich des Laokoon in Marmor, in Malerei
beziehungsweise in Bronzeguß. Diesen einfachen
Gedanken hätte die Wiederholung von opus in der
Wortfolge omnibus operibus et picturae et sta-
tuariae artis gestört, und deshalb dürfte Plinius
zum Mittel der suspensiven Detractio gegriffen
haben. Er wollte opus nur im Sinne von Arbeit/
Ausführung verstanden wissen. Liest man den Ne-
bensatz opus omnibus et picturae et statuariae artis
praeferendum unter der Prämisse, Plinius habe ge-
wußt, daß der Laokoon im Palast des Titus die vir-
tuose Umsetzung einer hellenistischen Bronzepla-
stik in Marmor ist, und in der Erkenntnis, daß sta-
tuaria ars bei Plinius ausschließlich Technik des
Bronzegusses heißt, dann läßt er sich vollkommen
evident, aber ohne alle anderen Implikationen fol-
gendermaßen verstehen: „Die Arbeit/Ausführung
(sc. ex uno lapide, d. h. in Marmor) ist allen übrigen
in Malerei oder Bronzeguß vorzuziehen". Das ist
nun allerdings ein Satz, den man Plinius ohne wei-
teres zutrauen kann und der alle Schwierigkeiten
beseitigt, die sich bei der früheren, scheinbar so evi-
denten Lesung auftürmen. Plinius will ganz einfach
sagen, daß ihm die Darstellung des Laokoon in
Marmor besser gefällt, als alle ihm bekannten Dar-
stellungen des Themas in Malerei und Bronzeguß.
Daß es Darstellungen des Laokoon-Themas in
Malerei gab, beweisen die pompejanischen Fres-
ken. Man muß allerdings nicht so weit gehen anzu-
nehmen, daß Plinius im sogenannten Haus des
Menander56 oder in der Casa del Laocoonte57 per-
sönlich gewesen sei und die beiden noch heute be-
kannten Wandgemälde gesehen habe. So gut wie in
diesen Häusern kann es auch anderswo Gemälde
mit dem Laokoon-Thema gegeben haben, die Pli-
nius bekannt waren. Man braucht sich hier nicht in
Spekulationen z. B. über ein Laokoon-Gemälde des
Zeuxis58 zu verlieren, da die beiden pompejani-
schen Gemälde die Existenz der von Plinius vor-
ausgesetzten malerischen Versionen des Themas
ausreichend bezeugen.
Von Versionen in Bronzeguß oder gar von einer
ganz bestimmten solchen Version ist außer dem,
was man durch die Betrachtung der Marmor-
Gruppe selbst erschließen kann, nichts bekannt.
Wenn man diese zum Beleg dafür heranziehen will,
daß es eine Ausführung in Bronze gab, die Plinius
im Auge hatte, als er die Marmor-Gruppe den Wie-
derholungen in Malerei und Bronze vorzog, dann
könnte dies natürlich als Circulus vitiosus angese-
hen werden: Erst versucht man nachzuweisen, daß
die Laokoon-Gruppe im Vatikan eine Marmor-
kopie nach einem hellenistischen Bronzeoriginal
ist, und dann bezeichnet man dieses Bronzeoriginal
als die Ausführung in Bronze, der Plinius die Mar-
morausführung vorgezogen hat. Das ist nun in der
Tat genau das, was wir für wahrscheinlich halten.
Aber der Beweisgang ist, gerade bei strenger Be-
trachtung, kein Circulus vitiosus, sondern ein kla-
rer Syllogismus59. Das geht zunächst aus den Ein-
zelschritten der Entdeckung hervor, die deshalb
hier noch einmal kurz ins Gedächtnis gerufen wer-
den müssen60:
1. Die Wiederherstellung der Laokoon-Gruppe
durch Filippo Magi hatte den hellenistischen
Stilcharakter der Laokoon-Gruppe unverkenn-
bar werden lassen.
2. Die Entdeckung der Skulpturen von Sperlonga
mit der Inschrift der Laokoon-Künstler stellte
die Erforschung der Laokoon-Gruppe auf eine
neue Basis.
3. Alle mythologischen Skulpturen-Gruppen von
Sperlonga aus dem Atelier der Laokoon-Künst-
ler erwiesen sich aufgrund völlig verschiedener
Kriterien als tiberische Marmorkopien nach hel-
lenistischen Bronzeoriginalen.
4. Das gleiche war dann auch für den Laokoon an-
zunehmen. Bestätigt wird das durch die Eigenart
des nicht von der Schulter herabfallenden Man-
tels beim älteren Knaben. Dieser Mantel erweist
sich als geschickt kaschierte Stütze der Ausfüh-
rung in Marmor, den die Ausführung in Bronze
nicht benötigte. Da der Mantel dem Stilcharak-
ter des Werkes nicht entspricht, kann er nicht
ursprünglich sein, sondern wurde nötig, als man
das Bronzeoriginal in Marmor kopierte.
BERNARD ANDREAE
bindung von opus mit pictura und mit statuaria ars
gestört hat. Ein opus picturae ist nämlich ein gemal-
tes Kunstwerk, d. h. ein Gemälde, und ein opus sta-
tuariae artis ein Werk in Bronzeguß, d. h. eine
Bronzeplastik, während ein opus ex uno lapide eine
Ausführung in Marmor bedeutet. Um diesen
Wortsinn nicht durch eine Wonverbindung zu stö-
ren, die andere Assoziationen auslösen könnte, be-
ließ er es bei der einmaligen ausdrücklichen Nen-
nung des Begriffs opus, der ja, mit dem folgenden ex
uno lapide verbunden, den Wortsinn ,Ausführung'
hatte. Dieser Wortsinn wurde dann von den Lesen-
den gleichsam von selbst mit den Gattungen der
Malerei und des Bronzegusses als Gegensatz zum
Marmor verbunden. Das heißt, es ist die Rede von
der verschiedenen Ausführung eines einzigen The-
mas, nämlich des Laokoon in Marmor, in Malerei
beziehungsweise in Bronzeguß. Diesen einfachen
Gedanken hätte die Wiederholung von opus in der
Wortfolge omnibus operibus et picturae et sta-
tuariae artis gestört, und deshalb dürfte Plinius
zum Mittel der suspensiven Detractio gegriffen
haben. Er wollte opus nur im Sinne von Arbeit/
Ausführung verstanden wissen. Liest man den Ne-
bensatz opus omnibus et picturae et statuariae artis
praeferendum unter der Prämisse, Plinius habe ge-
wußt, daß der Laokoon im Palast des Titus die vir-
tuose Umsetzung einer hellenistischen Bronzepla-
stik in Marmor ist, und in der Erkenntnis, daß sta-
tuaria ars bei Plinius ausschließlich Technik des
Bronzegusses heißt, dann läßt er sich vollkommen
evident, aber ohne alle anderen Implikationen fol-
gendermaßen verstehen: „Die Arbeit/Ausführung
(sc. ex uno lapide, d. h. in Marmor) ist allen übrigen
in Malerei oder Bronzeguß vorzuziehen". Das ist
nun allerdings ein Satz, den man Plinius ohne wei-
teres zutrauen kann und der alle Schwierigkeiten
beseitigt, die sich bei der früheren, scheinbar so evi-
denten Lesung auftürmen. Plinius will ganz einfach
sagen, daß ihm die Darstellung des Laokoon in
Marmor besser gefällt, als alle ihm bekannten Dar-
stellungen des Themas in Malerei und Bronzeguß.
Daß es Darstellungen des Laokoon-Themas in
Malerei gab, beweisen die pompejanischen Fres-
ken. Man muß allerdings nicht so weit gehen anzu-
nehmen, daß Plinius im sogenannten Haus des
Menander56 oder in der Casa del Laocoonte57 per-
sönlich gewesen sei und die beiden noch heute be-
kannten Wandgemälde gesehen habe. So gut wie in
diesen Häusern kann es auch anderswo Gemälde
mit dem Laokoon-Thema gegeben haben, die Pli-
nius bekannt waren. Man braucht sich hier nicht in
Spekulationen z. B. über ein Laokoon-Gemälde des
Zeuxis58 zu verlieren, da die beiden pompejani-
schen Gemälde die Existenz der von Plinius vor-
ausgesetzten malerischen Versionen des Themas
ausreichend bezeugen.
Von Versionen in Bronzeguß oder gar von einer
ganz bestimmten solchen Version ist außer dem,
was man durch die Betrachtung der Marmor-
Gruppe selbst erschließen kann, nichts bekannt.
Wenn man diese zum Beleg dafür heranziehen will,
daß es eine Ausführung in Bronze gab, die Plinius
im Auge hatte, als er die Marmor-Gruppe den Wie-
derholungen in Malerei und Bronze vorzog, dann
könnte dies natürlich als Circulus vitiosus angese-
hen werden: Erst versucht man nachzuweisen, daß
die Laokoon-Gruppe im Vatikan eine Marmor-
kopie nach einem hellenistischen Bronzeoriginal
ist, und dann bezeichnet man dieses Bronzeoriginal
als die Ausführung in Bronze, der Plinius die Mar-
morausführung vorgezogen hat. Das ist nun in der
Tat genau das, was wir für wahrscheinlich halten.
Aber der Beweisgang ist, gerade bei strenger Be-
trachtung, kein Circulus vitiosus, sondern ein kla-
rer Syllogismus59. Das geht zunächst aus den Ein-
zelschritten der Entdeckung hervor, die deshalb
hier noch einmal kurz ins Gedächtnis gerufen wer-
den müssen60:
1. Die Wiederherstellung der Laokoon-Gruppe
durch Filippo Magi hatte den hellenistischen
Stilcharakter der Laokoon-Gruppe unverkenn-
bar werden lassen.
2. Die Entdeckung der Skulpturen von Sperlonga
mit der Inschrift der Laokoon-Künstler stellte
die Erforschung der Laokoon-Gruppe auf eine
neue Basis.
3. Alle mythologischen Skulpturen-Gruppen von
Sperlonga aus dem Atelier der Laokoon-Künst-
ler erwiesen sich aufgrund völlig verschiedener
Kriterien als tiberische Marmorkopien nach hel-
lenistischen Bronzeoriginalen.
4. Das gleiche war dann auch für den Laokoon an-
zunehmen. Bestätigt wird das durch die Eigenart
des nicht von der Schulter herabfallenden Man-
tels beim älteren Knaben. Dieser Mantel erweist
sich als geschickt kaschierte Stütze der Ausfüh-
rung in Marmor, den die Ausführung in Bronze
nicht benötigte. Da der Mantel dem Stilcharak-
ter des Werkes nicht entspricht, kann er nicht
ursprünglich sein, sondern wurde nötig, als man
das Bronzeoriginal in Marmor kopierte.