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BERNARD ANDREAE
palast allen Ausführungen des gleichen Themas in
Malerei und Bronze vorzog, in der lateinischen
Sprache so ausgedrückt hätte, wie er es unseres Er-
achtens getan hat. Hier bleibt, man muß es geste-
hen, ein Rest63. Wenn Plinius sich so klar ausge-
drückt hätte, wie manche es sich wünschen, dann
hätte man ihn entweder nicht mißverstehen kön-
nen, oder es wäre schon früher bemerkt worden,
daß man ihn mißverstanden hat. Haben wir des-
halb ein Recht, Plinius vorzuwerfen, er schreibe
mißverständlich? Plinius schrieb für Zeitgenossen,
die den gleichen Geschmack hatten wie er und
Marmorbildwerke bronzenen vorzogen, sonst
wäre die massenhafte Produktion von Marmor-
kopien nach Bronzeoriginalen nicht zu erklären.
Für diese Zeitgenossen war der Satz so leicht ver-
ständlich, wie Plinius ihn für selbstverständlich
hielt.
Gleichwohl wird die Frage, ob ein lateinisch
sprechender Wissenschaftler vom Rang und von
der Eigenart des Plinius den Gedanken überhaupt
so wiedergeben konnte, von sehen kompetenter
Philologen geprüft werden müssen. Dabei wird es
darauf ankommen, daß die Philologen, welche die
sprachliche Seite des Textes besser beurteilen kön-
nen, auch die den Inhalt betreffenden Elemente be-
rücksichtigen, die die Archäologie beigesteuert hat.
Es sollte mitbedacht werden, daß man eher in Kauf
nehmen wird, daß Plinius nicht philologisch ein-
wandfrei geschrieben, als daß er Unsinn gesagt
habe. Dabei ist auch zu bedenken, daß die neue In-
terpretation erst gefunden wurde, als alle anderen
Einwände gegen die Erkenntnis entkräftet waren,
daß die rhodischen Künstler Athanadoros, Hage-
sandros und Polydoros nicht die Schöpfer der
Laokoon-Gruppe, sondern nur die Marmorbild-
hauer waren, die sie zur Zeit des Kaisers Tiberius in
Marmor umgesetzt haben. Der entscheidende Ein-
wand gegen diese Hypothese war jetzt nur noch
„die Ausdrucksweise des Plinius". „Sollten", so
fragt z. B. E. Simon64, „von Plinius als summi arti-
fices, Spitzenkünstler, bezeichnete Bildhauer wirk-
lich nur ein Kopistenatelier betrieben haben?".
Dazu muß man sagen, daß die Frage Original
oder Kopie für Plinius grundsätzlich irrelevant
war, in diesem Fall aber schon deshalb überhaupt
nicht ins Gewicht fiel, weil Plinius ja gerade be-
wundert, daß diese Steinmetzvirtuosen ein Werk
in Marmor ausarbeiten konnten, das seiner An-
sicht nach weder in Malerei noch in Bronze so vor-
züglich gestaltet worden war oder überhaupt ge-
staltet werden konnte wie in Marmor mit seiner
dem Inkarnat so ähnlichen sensiviten Oberfläche
und Farbe.
Um die Argumente zu vervollständigen, die bei
einer Uberprüfung der neuen Interpretation von
seiten der philologischen Wissenschaft berücksich-
tigt werden sollten, sei zum Schluß eine Überset-
zung des ganzen Abschnitts versucht, in der auch
die Wortstellung, die Sprachmelodie und die Aus-
drucksweise des Plinius, so gut es geht, nachgeahmt
werden:
„Schließlich ist nicht mehr viel von weiteren die
Rede, deren Berühmtheit in herausragenden
Arbeiten die Zahl der Künstler entgegensteht,
da nicht einer den Ruhm in Anspruch nimmt,
noch mehrere gleicherweise genannt werden
können, wie beim Laokoon, der im Palast des
Imperators Titus steht, als Arbeit allen in Male-
rei und Bronzeguß vorzuziehen. Aus einem
Stein machten ihn und die Kinder sowie die
bewundernswerten Schlangenwindungen auf-
grund eines Ratsbeschlusses die Spitzenkünstler
Hagesander, Polydorus und Athanadorus, die
Rhodier.
Auf ähnliche Weise haben die Kaiserpaläste auf
dem Palatin mit trefflichen Bildwerken ange-
füllt: Craterus mit Pythodorus, Polydeuces mit
Hermolaus, ein anderer Pythodorus mit Arte-
mon und der einzelne Trallianer Aphrodisius."
Wie diese Künstler gearbeitet haben, davon kann
man eine Vorstellung, wenn schon nicht durch er-
haltene Reste von der Ausstattung der Domus
Tiberiana auf dem Palatin, so doch vom Skulp-
turenschmuck anderer kaiserlicher Villen dieser
Zeit, nämlich denen von Sperlonga und Baiae, ge-
winnen. Die Künstler, die diese Palastvillen „mit
trefflichen Statuen anfüllten", setzten in Bronze
konzipierte hellenistische Statuengruppen in Mar-
mor um. Sie taten also — similiter — genau das,
weshalb Plinius die Laokoonkünstler lobt.
BERNARD ANDREAE
palast allen Ausführungen des gleichen Themas in
Malerei und Bronze vorzog, in der lateinischen
Sprache so ausgedrückt hätte, wie er es unseres Er-
achtens getan hat. Hier bleibt, man muß es geste-
hen, ein Rest63. Wenn Plinius sich so klar ausge-
drückt hätte, wie manche es sich wünschen, dann
hätte man ihn entweder nicht mißverstehen kön-
nen, oder es wäre schon früher bemerkt worden,
daß man ihn mißverstanden hat. Haben wir des-
halb ein Recht, Plinius vorzuwerfen, er schreibe
mißverständlich? Plinius schrieb für Zeitgenossen,
die den gleichen Geschmack hatten wie er und
Marmorbildwerke bronzenen vorzogen, sonst
wäre die massenhafte Produktion von Marmor-
kopien nach Bronzeoriginalen nicht zu erklären.
Für diese Zeitgenossen war der Satz so leicht ver-
ständlich, wie Plinius ihn für selbstverständlich
hielt.
Gleichwohl wird die Frage, ob ein lateinisch
sprechender Wissenschaftler vom Rang und von
der Eigenart des Plinius den Gedanken überhaupt
so wiedergeben konnte, von sehen kompetenter
Philologen geprüft werden müssen. Dabei wird es
darauf ankommen, daß die Philologen, welche die
sprachliche Seite des Textes besser beurteilen kön-
nen, auch die den Inhalt betreffenden Elemente be-
rücksichtigen, die die Archäologie beigesteuert hat.
Es sollte mitbedacht werden, daß man eher in Kauf
nehmen wird, daß Plinius nicht philologisch ein-
wandfrei geschrieben, als daß er Unsinn gesagt
habe. Dabei ist auch zu bedenken, daß die neue In-
terpretation erst gefunden wurde, als alle anderen
Einwände gegen die Erkenntnis entkräftet waren,
daß die rhodischen Künstler Athanadoros, Hage-
sandros und Polydoros nicht die Schöpfer der
Laokoon-Gruppe, sondern nur die Marmorbild-
hauer waren, die sie zur Zeit des Kaisers Tiberius in
Marmor umgesetzt haben. Der entscheidende Ein-
wand gegen diese Hypothese war jetzt nur noch
„die Ausdrucksweise des Plinius". „Sollten", so
fragt z. B. E. Simon64, „von Plinius als summi arti-
fices, Spitzenkünstler, bezeichnete Bildhauer wirk-
lich nur ein Kopistenatelier betrieben haben?".
Dazu muß man sagen, daß die Frage Original
oder Kopie für Plinius grundsätzlich irrelevant
war, in diesem Fall aber schon deshalb überhaupt
nicht ins Gewicht fiel, weil Plinius ja gerade be-
wundert, daß diese Steinmetzvirtuosen ein Werk
in Marmor ausarbeiten konnten, das seiner An-
sicht nach weder in Malerei noch in Bronze so vor-
züglich gestaltet worden war oder überhaupt ge-
staltet werden konnte wie in Marmor mit seiner
dem Inkarnat so ähnlichen sensiviten Oberfläche
und Farbe.
Um die Argumente zu vervollständigen, die bei
einer Uberprüfung der neuen Interpretation von
seiten der philologischen Wissenschaft berücksich-
tigt werden sollten, sei zum Schluß eine Überset-
zung des ganzen Abschnitts versucht, in der auch
die Wortstellung, die Sprachmelodie und die Aus-
drucksweise des Plinius, so gut es geht, nachgeahmt
werden:
„Schließlich ist nicht mehr viel von weiteren die
Rede, deren Berühmtheit in herausragenden
Arbeiten die Zahl der Künstler entgegensteht,
da nicht einer den Ruhm in Anspruch nimmt,
noch mehrere gleicherweise genannt werden
können, wie beim Laokoon, der im Palast des
Imperators Titus steht, als Arbeit allen in Male-
rei und Bronzeguß vorzuziehen. Aus einem
Stein machten ihn und die Kinder sowie die
bewundernswerten Schlangenwindungen auf-
grund eines Ratsbeschlusses die Spitzenkünstler
Hagesander, Polydorus und Athanadorus, die
Rhodier.
Auf ähnliche Weise haben die Kaiserpaläste auf
dem Palatin mit trefflichen Bildwerken ange-
füllt: Craterus mit Pythodorus, Polydeuces mit
Hermolaus, ein anderer Pythodorus mit Arte-
mon und der einzelne Trallianer Aphrodisius."
Wie diese Künstler gearbeitet haben, davon kann
man eine Vorstellung, wenn schon nicht durch er-
haltene Reste von der Ausstattung der Domus
Tiberiana auf dem Palatin, so doch vom Skulp-
turenschmuck anderer kaiserlicher Villen dieser
Zeit, nämlich denen von Sperlonga und Baiae, ge-
winnen. Die Künstler, die diese Palastvillen „mit
trefflichen Statuen anfüllten", setzten in Bronze
konzipierte hellenistische Statuengruppen in Mar-
mor um. Sie taten also — similiter — genau das,
weshalb Plinius die Laokoonkünstler lobt.