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Die Tragödie des Laokoon

Sooft man vor die Laokoon-Gruppe (Falttafel) tritt,
erlebt man die Tragödie des Priesters, der die vom
Hölzernen Pferd seiner Stadt drohende Gefahr er-
kennt, aber den unerbittlichen Willen der Götter
nicht deuten kann. Sie hatten Troja dem Untergang
geweiht, um es in einer neuen, ewigen Stadt wieder-
auferstehen zu lassen. Ihm als Priester hätte der
Wille der Götter kundwerden können, doch er
stellte sich ihrem Ratschluß entgegen. Die Götter
mußten ihn und seine Kinder am Altare opfern.
Zwei gottgesandte Schlangen fesseln den Vater
(Falttafel) und seine Söhne (Abb. 10, 13—IS) mit
planvollen Windungen und Knoten ihrer Leiber an-
einander und bringen ihnen mit einem Giftbiß, der
diese von Natur aus nicht mit Giftdrüsen ausgestat-
teten Würgeschlangen als übernatürliche Wesen
ausweist, den Tod.

Man hat in der Laokoon-Gruppe die Komposi-
tionsfigur des steigenden Parallelogramms erken-
nen wollen17, welche die bewegte, asymmetrische
Gruppe »in eine vollkommen starre geometrische
Figur einspannt« und hat darin einen »klassizisti-
schen Geschmack« zu erkennen geglaubt, »der
nach Ordnung und sinnvollen Formeln von ästheti-
scher Klarheit strebt, die nicht aus dem Geschehen
abgeleitet, sondern ihm auferlegt sind«. Dies er-
scheint jedoch als eine konstruktivistische Betrach-
tungsweise, die der plastischen antiken Gestaltungs-
weise nicht angemessen ist. Das Gefüge der Glieder,
das sich aus der Mechanik der menschlichen Glied-
maßen ergibt, führt wie von selbst zu Bewegungen,
die sich der geometrischen Figur eines Parallelo-
gramms einfügen lassen und deshalb ein Motiv äs-
thetisch angenehm machen. Die Frage ist, ob die
dramatisierte Bewegung »gegen die Wirklichkeit«
in diese Form, also in ein »Gebäude im Sinn des
Künstlers« gezwungen wird, oder ob diese Form,
die vom Wirklichkeitsgehalt der Darstellung ver-

14

9 Toter Niobide,
München, Glyptothek.
Römische Kopie eines
hellenistischen Originals,
das dem Schöpfer der
Laokoon-Gruppe als
Vorbild für den jüngeren
Sohn diente.

10 jüngerer Knabe des
Laokoon.

Wie der Sohn der Niobe
die Hybris der Mutter, so
muß der Laokoon-Sohn
die Hybris des Vaters mit
dem Tode bezahlen.
 
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