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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0044

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Der Koloss von Rhodos

gusses die Grenzen aufzeigen, die hellenistisches Kunstwollen er-
reichte.

Eine Vorstellung von dem Werk selbst ist, wenn überhaupt, nur
schwer zu gewinnen. Besonders verdient gemacht darum, es doch
noch irgendwie kenntlich zu machen, hat sich - im Anschluss an
Ernst Langlotz und Erika Simon - Paolo Moreno in seiner als extre-
me Leistung beachtlichen "Scultura Ellenistica". Man wagt es nicht,
den Vorschlag dieser Forscher einfach abzulehnen oder anzuneh-
men, dass in einer gut erhaltenen Marmorstatuette des Gottes Sol
aus einer römischen Villa bei Santa Marinella im Museum von Civi-
tavecchia eine gegen Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. um das
zwanzigfache verkleinerte Kopie des damals am Boden liegenden
Kolosses überliefert sei. Man kann nicht unempfindlich sein ge-
genüber der von Moreno aufgezeigten Stilverwandtschaft zwischen
der Marmorstatuette in Civitavecchia und rhodischen Skulpturen
der Zeit um 300 v. Chr., darunter besonders Terrakotten, die den
Helios, den Sonnengott, darstellen. Auch das Bildnis des Demetrios
Poliorketes von 306 v. Chr. zeigt stilistische Ähnlichkeiten. Die Pro-
fillinien scheinen sich zu decken, und die Formen der S-förmig um
das Haupt fallenden Locken sind gut vergleichbar.

Doch es bleiben zu viele Fragen: wie war es möglich, über drei-
einhalb Jahrhunderte nach der Erdbebenkatastrophe die in Stücken
am Boden liegende Riesenskulptur zu kopieren? Oder hatte Kaiser
Hadrian sie wirklich wieder aufrichten lassen, wie Moreno auf-
grund der Kombination später Schriftquellen annehmen möchte,
ohne dass die Wissenschaft ihm darin folgt? Muss jede Darstellung
des Sonnengottes in Rhodos um 300 v. Chr. auf den Koloss zurück-
gehen? Ist das Motiv der Statuette von Santa Marinella nicht viel zu
labil für die prekäre Statik einer Riesenstatue? Solange diese und an-
dere Fragen nicht befriedigend beantwortet sind, begnügen wir uns
damit, das historische Faktum der Schöpfung des Kolosses von
Rhodos ins Bewusstsein zu heben. Extremes zu wollen und zu ver-
wirklichen war typisch für das Zeitalter der Diadochen.

Darin folgten sie ihrem Vorbild Alexander, der seinem Hofarchi-
tekten Deinokrates den später allerdings doch nicht verwirklichten
Auftrag gegeben hatte, den Berg Athos in ein riesiges Bildnis seiner
selbst zu verwandeln. Ein ausgeführtes megalomanes Projekt des
Deinokrates war der 180 m mal 180 m messende 60 m hohe vergol-
dete Holzbau als Scheiterhaufen für Alexanders Freund Hephaisti-
on in Babylon, von dessen Ausmassen die in Babylon entdeckten
Spuren der Pyra, das heisst des Scheiterhaufens Alexanders des
Grossen selbst, eine Vorstellung geben.

Bis zur Nachahmung im 35 m hohen Sonnenkoloss des Kaisers
Nero in Rom, neben dem das flavische Theatrum ad colossum oder
kurz Kolosseum genannte Amphitheater errichtet wurde, blieb der
Koloss von Rhodos die grösste je ausgeführte Statue, und sie wurde

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