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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0052

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Kephisodotos und Timarchos: Die kapitolinische Aphrodite

kann zeigen, was diesen Kopien an Schimmern der Oberfläche, an
Feinheit und Anmut fehlt. Der Vergleich mit der Kapitolinischen Ve-
nus bleibt gleichwohl aufschlussreich.

Wie viele Anekdoten über hingerissene Betrachter es auch geben
mag, als Bildwerk ist die praxitelische Aphrodite unbelauscht; es gibt
keinen vom Betrachter hinzuzudenkenden unsichtbaren Betrachter.
Ihre Einsamkeit ist göttlich, ist nicht abweisende Vereinsamung, son-
dern Leben in einer anderen Sphäre. Auch sie ist schamhaft. Als sie in
unbestimmte Ferne blickend sich zum Baden entkleidet und ihr Ge-
wand mit der Linken ablegt, bedeckt ihre rechte Hand mit unwillkür-
licher Gebärde den Schoss. Aber dies ist keine Reaktion auf das Ein-
dringen in den Intimbereich einer Frau, wie ihn die Reaktion der Ka-
pitolinischen Venus anschaulich werden lässt. Der Umriss der praxi-
telischen Aphrodite ist reiner Wohllaut. Bei der Kapitolinischen Venus
führen alle Linien um die Rundungen des Körpers herum. Sie lässt
den Betrachter den Raum erfahren, in dem sie steht und reagiert und
in den der Betrachter eingedrungen ist. Der Raum als Gegensatz zum
Körper ist ein künstlerisches Problem, das Praxiteles noch nicht kennt,
das aber seinen Zeitgenossen Lysipp zu interessieren beginnt und das
ein formales Problem ersten Ranges während der ganzen Epoche hel-
Knidische Aphrodite lenistischer Kunst bleibt. An kaum einem anderen Formproblem kann
des Praxiteles man die Entwicklung hellenistischer Plastik deutlicher verfolgen als

Vatikan, Gabinetto an den Lösungen, welche die Künstler für dieses Problem finden.
delle Maschere Y)ie Aphrodite vom Kapital zeigt wie die Tyche des Eutychides,

dass die Darstellung von nach der Menschennatur gestalteten gött-
lichen Wesen nicht weniger als rein menschlichen weiblichen Ge-
schlechts eine ebenso spezifische künstlerische Aufgabe war wie die
des männlichen Geschlechtes. Auch hier werden die Unterschiede
gerade der sekundären Geschlechtsmerkmale in der hellenistischen
Kunst immer deutlicher herausgearbeitet. Die Fettpölsterchen an
den Winkeln zwischen Arm und Brust, um den Bauchnabel, an den
Trochantergruben, an den Knien und Enkeln, die hoch ansetzenden,
gespannten Glutäen, die Fülligkeit der Oberarme im Gegensatz zu
den immer schlanker werdenden Unterarmen, die Grübchen in den
weichen Handrücken, die überlangen, sich zur Spitze hin ver-
schmälernden Finger mit den aufgebogenen Kuppen, das alles wird
nun genau beobachtet und liebevoll wiedergegeben. Auch die Haa-
re, die sich früher dichter, mit melonenartigen Rillen um den Kopf
legten, bekommen eine eigene Qualität. Sie werden zu Schleifen auf
dem Oberkopf aufgetürmt oder fallen in losen Strähnen auf den
Rücken. Sie sind ein Element, das nicht mit, sondern gegen den Kör-
per komponiert und dem eine eigene Stofflichkeit zuerkannt wird.
Bei im Original erhaltenen Skulpturen wie der Themis des Chaire-
stratos kann man das an den allein mit dem Meissel bearbeiteten
Formen besser beobachten als bei den römischen Kopien, wo die
Bohrtechnik eine neue stilistische Note hineinbringt.

Um 330 v. Chr.
 
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