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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0060

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Die Dionysosstatue des Thrasykles

zender Männer, aber wie sie bewegt war, kann man nicht mehr sa-
gen. Vielleicht würde die Statue, wenn die sprechende Gebärde der
Hände und die Haltung des Kopfes noch kenntlich wären, unmittel-
barer das für ihre Entstehungszeit Aussagekräftige mitteilen. Aber
auch in dem gegebenen Erhaltungszustand muss sie etwas über die
Kunst um 270 v. Chr. erkennbar machen. Man sieht, dass die grossen
Vorbilder klassischer Zeit nicht vergessen sind. Die Figur ist nicht
vollkommen anders als die sitzenden Göttinnen im Parthenonost-
giebel, bei denen das Spiel der zwischen den Knien durchhängenden
Falten schon beschrieben ist. Das scheint vom Bildhauer des von
Thrasykles aufgestellten Dionysos rückhaltlos anerkannt zu werden.
Die Figur ist gleichwohl weder klassizistisch, noch ahmt sie die Ge-
stalten vom Parthenon oder irgendein anderes Vorbild sklavisch
nach, sondern sie verhält sich ihm gegenüber gleichsam selbstver-
ständlich. Das naturgegebene Wesen des Gottes Dionysos wird in
seiner Erhabenheit, in seiner Kraft und starken Körperlichkeit in For-
men wiedergegeben, die nicht aufrauschen, sondern die Epitheta
natürlich, erhaben, kraftvoll, körperlich werden in diesem Bild an-
schaulich gemacht. Es ist die schlichte Form des Realismus, die sich
mit der Blockhaftigkeit begnügt und zur Steigerung weder Torsion
noch Verformung sucht. Darin ist der von Thrasykles bestellte
Dionysos dem Demosthenes des Polyeuktos ähnlich.
Diese im Original erhaltene Skulptur, die an exponierter Stelle in
Parthenon-Ostgiebel Athen aufgestellt war, kann nächst der Statue des Menander als der
London, Brit. Mus. Ausgangspunkt der Schöpfungen von Sitzstatuen wie denjenigen
438^132 v. Chr. des Epikur, des Poseidippos und des Chrysippos angesehen wer-

den, denen wir uns in den Kapiteln 14, 15 und 21 zuzuwenden ha-
ben. Dabei ist eine Überlegung besonders wichtig. Der Dionysos
vom Thrasyllosmonument am Südhang der Akropolis von Athen ist
eines der wenigen hellenistischen Kunstwerke, dessen Auftragge-
ber wir kennen, obwohl dieser ein Privatmann war. Fast alle in die-
sem Buch behandelten Werke (Ausnahme S. 231 f.) sind Aufträge
von Herrschern, von Staaten oder von Personengruppen wie die
Philosophenschulen, die ihre Gründer durch Bildnisstatuen ehrten.
Die Tatsache, dass die Sitzstatue im Britischen Museum eine priva-
te Stiftung war, muss bei ihrer Beurteilung eine Rolle spielen. Ein
Privatmann konnte es sich offenbar nicht leisten, einen berühmten,
überragenden Bildhauer zu beauftragen. Bei den anderen Stiftun-
gen kam auch der Sachverstand nicht nur eines einzelnen, sondern
einer ausgewählten Kommission zum Tragen, und das glaubt man
den ausgeführten Werken ansehen zu können. Der Dionysos vom
Thrasyllosmonument hat handwerkliche Qualität, die von offiziel-
len Auftraggebern bestellten Werke und nicht zuletzt die in staatli-
chem Auftrag geschaffenen Bildnisse, die die Mehrzahl sicher da-
tierbarer Skulpturen hellenistischer Zeit darstellen, haben gewöhn-
lich höheren künstlerischen Anspruch und Rang.

Göttin ans dem
 
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