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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0103

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Phyromachos: Das Bildnis des Antisthenes

ihm auseinandergesetzt hat, so wie Piaton, Epikur und Zenon sich
ihrerseits und unabhängig voneinander auf Anregungen durch die
Philosopie des Antisthenes beriefen. Der vierte, der in diesem Krei-
se zu nennen wäre, nämlich Diogenes von Sinope, der die Ansätze
des Antisthenes zum Kynismus weiterentwickelte, hatte selbst zu
Lebzeiten kein sein Aussehen bewahrendes Bildnis erhalten, das
Phyromachos eine Anregung hätte geben können. Wenn der Bild-
hauer aus Athen ein Bildnis des Antisthenes nicht völlig frei erfin-
den wollte, weil das aussagelos gewesen wäre, dann lag es nahe, ein
Antlitz aus den Physiognomien derjenigen zu entwickeln, die mit
der Philosophie des Antisthenes am tiefsten vertraut waren. Phyro-
machos scheint so vorgegangen zu sein, denn die Anklänge an die
genannten vier Philosophenbildnisse sind nicht zufällig, sondern in
der künstlerischen Form des Bildnisses verankert.

Völlig neu sind beim Bildnis des Antisthenes die Darstellung der
Zahnlosigkeit des Mundes und die Komposition der ungebärdigen,
vom Kopf nach allen Seiten abstehenden, unabhängig von der Kopf-
form durchgebildeten Haare. Nicht dass die Haare lang sind, ist das
Neue; das gab es schon beim spätklassischen Euripidesbildnis und
anderen, besonders bei den Köpfen von Vatergottheiten oder beim
Anytos des Damophon, sondern dass die Strähnen einzeln geformt,
lockig gewellt und in eine gewollte, kunstvolle Unordnung gebracht
sind, zeigt eine neue Richtung an.

Bei genauer Betrachtung dieser Haare glaubt man nachvollziehen
zu können, wie der Bildhauer, als er das Tonmodell anfertigte,
zunächst den kahlen Schädel geformt hat und dann aus einzelnen
Tonrollen spitz zulaufende, mehr oder weniger gewellte Locken bil-
det, diese in der beabsichtigeten Komposition übereinander an den
Schädel klebt, sie dann mit verschiedenen messer- und stichelarti-
gen Instrumenten an der Oberfläche rillt und in der Form von Haar-
flocken ausgestaltet. Demgegenüber scheinen alle früheren Darstel-
lungen von Haarlocken aus der Masse, die den ganzen Kopf bilden
sollte, herausgearbeitet. Das Aufspringen der Haare, das man schon
seit den Diadochenbildnissen kennt, hat eine konsequente Steige-
rung erfahren. Nur bei den Statuen der Gruppe der grossen Gallier
aus der Zeit 230-220 v. Chr. und beim Anytos des Damophon aus
dem letzten Viertel des dritten Jahrhunderts sieht man Ansätze zu
der neuen, von Phyromachos vervollkommneten Form.

Dass sie in der beim Antisthenesbildnis zum ersten Mal sichtba-
ren und bei den späteren Werken des Phyromachos weiterent-
wickelten Form eine Leistung dieses Meisters darstellen, geht aus
einem Vergleich (S. 102-113) mit der Haargestaltung bei den Werken
seines älteren Weggefährten Nikeratos hervor, zum Beispiel bei den
Bildnissen Eumenes' 11. und seines Bruders Attalos' II. sowie beim
Diomedes der Palladionraubgruppe, die einen wichtigen Schritt auf
dem Wege zu der neuen Form repräsentieren.

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