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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0112

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Die Bildnisse der Attaliden Attalos L, Eumenes II. und Attalos II.

klassischen Kontrapostes als Spielbein zu bezeichnende Bein ist mit
nach hinten und etwas zur Seite gestelltem Fuss auf der Spitze des
grossen Zehs aufgesetzt, als ob der Fuss sich auf dem Zehenballen
drehen wollte. Er teilt dem Bein dadurch eine Spiralbewegung mit,
die sich durch die Schenkel und die schräge Achse des Beckens fort-
setzt bis in die auf den Glutäus gelegte Hand und von ihr durch den
gebeugten rechten Arm in die entgegen der Hüftachse geneigte und
gedrehte Schulterachse nach oben läuft, welche sie an den in die
Höhe geschraubten Arm bis in die Spitze des vom Speer gelösten
Zeigefingers weitergibt. Die Haltung der Lanze zeigt die Schräge
an, in der diese Spirale den Körper durchläuft und an der Finger-
spitze aus ihm heraustritt. Die Achse, um die diese Spiralbewegung
sich dreht, ist die vom rechten Fuss durch den Rumpf bis in das er-
hobene, nach rechts gewandte Haupt in einem steilen S-Schwung
gehaltene Körpergerüst. Die ganze Haltung des herrisch auftreten-
den Mannes bekommt durch die Gegenbewegung von Körperspan-
nung und Schwingung der spiraligen Torsion die Elastizität einer
Sprungfeder. Die Massivität der Muskelpakete macht den Mann
nicht schwer, sondern kraftstrotzend. Der scharf beobachtende Blick
der leicht zusammengekniffenen Augen verleiht ihm einen Aus-
druck von Wachsamkeit und Überlegenheit. Die Bezeichnung "Hel-
lenistischer Herrscher" trifft genau das Wesen dieser bedeutenden
Bronzestatue, eines der wenigen im Original erhaltenen Meister-
werke hellenistischer Plastik.

Die Skulptur trägt auf dem Leib eingeritzt die Inventarnummer
des römischen Staatsschatzes. Da die Römer mit den Pergamenern
nie Krieg geführt haben, darf man vermuten, dass die Bronzestatue
nicht als Kriegsbeute, sondern als Geschenk des pergamenischen
Königshauses an den befreundeten Staat der Römer in die Haupt-
stadt gekommen ist.

Nicht auszuschliessen ist, dass neben diesem Standbild des noch
nicht mit dem Diadem ausgezeichneten Prinzen Attalos ein ähnli-
ches Standbild seines Bruders, des Königs Eumenes IL, mit der Kö-
nigsbinde stand, so dass beide Dioskuren nebeneinander stünden
wie auf dem Revers der Eumenesmünze. Gefunden wurde nur das
Standbild des Attalos und mit ihm die originale Bronzestatue eines
sitzenden Boxers, die aber stilistisch um hundert Jahre früher zu da-
tieren ist und deshalb nicht ursprünglich mit dem "Hellenistischen
Herrscher" zusammen aufgestellt war. Was die Römer veranlasst
hat, diese beiden ungleichen, aber nicht unpassenden Statuen ne-
beneinander aufzustellen, kann man nur vermuten. Es sei aber be-
merkt, dass Eumenes im Gegensatz zu seinem Bruder Attalos in der
Zeit des dritten makedonischen Krieges und des anschliessenden
Gallierkrieges, also in der Zeit zwischen 172 und 166 v. Chr., in Un-
gnade gefallen war und dass die Römer sogar versucht hatten, einen
Keil zwischen die Brüder zu treiben. Eumenes II. wurde jedenfalls

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