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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0121

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Die Nike von Samothrake

Der entscheidende stilistische Unterschied zu den klassischen Wer-
ken beruht darin, dass diese einfach bewegt sind und in ihrem Kör-
per keine Gegenbewegung wirksam ist wie in der stürmisch vor-
andrängenden, zugleich aber anhaltenden Nike von Samothrake,
die ihre sperrigen Körperachsen elastisch ausschwingen lässt.

Geht man nach der Betrachtung des Werkes von nahem einen der
auf beiden Seiten umbiegenden Treppenläufe im Louvre noch wei-
ter nach oben, so kann man auf der Galerie hin und her schreiten
und die Ansichten in sich aufnehmen, welche die Gestalt aus ver-
schiedenen Blickpunkten bietet. Sie entfaltet sich frei und nach allen
Seiten ausgreifend im Raum und geht auch darin über die im Ge-
staltraum ruhenden klassischen Werke hinaus. Sie wird zur Er-
scheinung im Raum, der um sie herum in seiner eigenen Qualität er-
lahrbar wird. Man glaubt, die Göttin sich bewegen, das schräg ins
Becken gesetzte Schiff im Wasser dahingleiten zu sehen.

Die Nike von Samothrake ist eines der wenigen erhaltenen Werke
ihodischer Plastik der hellenistischen Zeit, das den Mangel an Evi-
denz einer dortigen Kunstschule ausgleichen kann. Dass es eine sol-
che Kunstschule gegeben hat, ist wegen der vielen inschriftlich
überlieferten Künstlernamen von Rhodos unbestreitbar, aber greif-
bar ist diese Kunstschule nicht ohne weiteres, wobei hier schon auf
die Bedeutung der grossen Skyllagruppe, die aus Rhodos stammen
muss, vorausverwiesen sei. Rhodos besass keinen für Skulpturen
brauchbaren karnatfarbenen Marmor. Der blaugraue Lithos Lartios
konnte für Basen Verwendung finden, aber nicht für Meisterwerke
der Skulptur. Deswegen benutzten die rhodischen Meister mit Vor-
liebe den Bronzeguss, und Bronzeskulpturen wurden wegen des
Materialwertes in weit höherem Masse zerstört als Marmorplasti-
ken. Plinius (nat. 34, 36) berichtet, auf der Insel habe es neben dem
riesigen "Koloss" des Chares von Lindos noch weitere hundert ko-
lossale Bronzeskulpturen gegeben. Der "Koloss" lag zu seiner Zeit
schon seit dreihundert Jahren in Trümmern. Ein ähnliches Schicksal
haben offenbar auch die von Plinius erwähnten weiteren Bronze-
plastiken erlitten, die abtransportiert oder eingeschmolzen wurden,
auch wenn sie wohl nicht dreissig oder mehr Meter hoch waren wie
der "Koloss", sondern wie das Bronzeoriginal der Skyllagruppe
vom Typus Sperlonga das heroische Mass von sieben Fuss, d. h. ca.
2,10 m Höhe bei menschlichen Figuren gehabt haben dürften. Göt-
ter, wie die Nike, konnten natürlich, auch wenn sie nie Riesenmas-
se erreichten, grösser gewesen sein. Sie blieb bewahrt, weil sie aus
Marmor bestand. Ein vergleichbar grossartiges Meisterwerk wie sie
ist aus der rhodischen Kunst im Original nicht erhalten. Deswegen

st diese Figur so bedeutungsvoll, weil sie zeigt, dass ein Werk wie
der Pergamonaltar ohne die Erfahrungen rhodischer Bildhauer

licht denkbar wäre, die schliesslich durch die Inschrift des Mene-
krates als Mitarbeiter am Altar auch sicher bezeugt sind. Es ist aber

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Nilfee des Paionios
Olympia, Mouseion.
420 v. Chr.

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