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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0176

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Die Skyllagruppe vom Typus Rhodos-Sperlonga-Konstantinopel

Odysscus und der
Steuermann in der
Skyllagruppe
Seite 169-173

Odysseus und der
Steuermann im
Mosaik aus Gubbio
Perugia, Museo
Archeologico.
Um 100 V. Chr.

Schopf ergriffen und hochgehoben, während der Hundeleib auf
ihrem rechten Darmbeinstachel sich nach oben biegt und die Zähne
gegen den Steuermann fletscht. Seine rechte Pranke greift nach des-
sen Seite, wo man im Gewand über dem Gürtel noch die vom Bild-
hauer mit raschen Meisselschlägen dafür ausgesparte Vertiefung
sieht. Als Skylla den Mann in die Höhe hob und er den Boden des
Schiffes unter den Füssen verlor, flogen ihm die Beine nach hinten,
so dass der Körper fast waagerecht durch die Luft gleitet und die
Unterschenkel nach oben schlagen. Der Körper, den Skylla nur am
Kopf hält, so dass er wie eine Gliederpuppe schlenkert, hatte die
Trägheit der Masse in sich, die ihm durch die Geschwindigkeit des
Schiffes mitgeteilt war. Diese Geschwindigkeit ist so gross, dass im
gleichen Augenblick das hochgebogene Aphlaston des unter dem
Körper des Steuermanns dahinschiessenden Schiffes gegen die
Hand Skyllas kracht. Durch die von der Trägheit der Masse be-
stimmte Bewegung des Körpers des Steuermanns wurde Skylla die
Hand, die den Kopf hält, so stark gedreht, dass ihr Handrücken fast
senkrecht zu stehen kommt. Man sieht, wie an diesem Hindernis die
beiden inneren Spanten des Aphlastons zersplittern, an das der
Mann sich klammert. Der Betrachter begreift sofort, dass Skylla den
Mann fahrenlassen muss, dass er ihr im wahrsten Sinn des Wortes
durch das Aphlaston aus der Hand geschlagen wird. In den angst-
voll geweiteten Augen des nach unten blickenden Mannes scheint
sich der Mahlstrom der Charybdis zu spiegeln, in die er hinabzu-
stürzen droht. Doch er hatte blitzschnell die rechte Hand durch die
Spanten des Aphlastons gesteckt und krallt sich an einer senkrech-
ten Haste fest. Vielleicht kann er auch die Beine, wenn sie der
Schwerkraft folgen und nach unten fallen, am Bord des Schiffes fest-
klammern und sich retten. Dass dies alles sich in einer Sekunde vor
den Augen des Betrachters abspielt, zeigt der noch nach hinten ge-
streckte linke Arm des Mannes, der einen Wimpernschlag zuvor das
Steuerruder fahrenlassen musste, als ob er versucht hätte, es zu hal-
ten; doch es war vergeblich. Der Griff des Riesenweibes war zu
stark, die Geschwindigkeit des Schiffes zu gross.

Odysseus sieht das mit raschem Blick und erkennt, dass das Schiff
in diesem Augenblick steuerlos ist. Seine rechte Hand, die offenbar
soeben die zweite Lanze gegen Skylla geschleudert hatte und nach
unten durch die Luft fährt, wird im nächsten Bruchteil einer Sekun-
de den Holm des noch verbliebenen Steuerruders ergreifen, das der
Steuermann, als er von Skylla gepackt wurde und sein Körper sich
um seine eigene Achse drehte, hatte fahrenlassen müssen, wohin
seine Hand aber noch nach hinten ausgestreckt ist. Der Holm des
Steuerbordruders auf der Backbordseite, dessen oberer Teil bei der
marmornen Skyllagruppe zweifellos aus Bronzeröhren gebildet
war, befand sich unmittelbar unter der rechten, durch die Luft fah-
renden Hand des Odysseus.

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